Max Kommerell     (* Münsingen 25. Februar 1902   –   25. Juli 1944 Marburg)

Max Kommerell um 1920, etwa zur Zeit als er sein Studium begann

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Um 1923

Max Kommerell, ein deutscher Dichter und Literaturwissenschaftler, ist heute weitgehend unbekannt. Dass er vergessen worden wäre, kann man auch nicht behaupten, denn bekannt war er auch zu Lebzeiten nicht. Wenn wir dennoch vereinzelt auf ihn stoßen, dann zumeist in seiner Eigenschaft als Anhänger und Mitarbeiter von Stefan George. Unfassbar für uns heute, jene tiefen abhängigen Beziehungen von hoch gebildeten Literaturwissenschaftlern und Künstler wie dem Heidelberger Ordinarius Friedrich Gundolf und eben jenem Max Kommerell, dem Literaturhistoriker und späteren Direktor des Germanistischen Seminars der Universität Marburg.

Als junger Privatdozent um 1931
Im Urlaub am Attersee im Sommer 1938 mit seiner zweiten Frau Erika

Herkunft, Familie, Ausbildung

Den wohlklingenden Namen, der uns so beflügelt entgegenwirkt und der auch einem Schmetterling oder einer Segeljacht gut stehen würde, um dabei trotz aller ihm innewohnenden Leichtigkeit auch sicher gründende Bodenständigkeit vermittelt, verdankt er einer schwäbischen Sippe, die sich in Tübingen leicht bis in den Anfang des sechzehnten Jahrhunderts zurückverfolgen lässt. Es sind Bäcker und Gerber, Wirte, Posthalter und viele von ihnen sind auch in städtischen Amtsfunktionen, bis hin zum Bürgermeister, später werden sie, wie könnte es in einer Universitätsstadt wie Tübingen auch sein, Studierte, Wissenschaftler und Professoren. Viele waren Mathematiker, zuletzt waren es Ärzte wie sein Vater Eugen Kommerell. Dessen Tätigkeit als Oberamtsarzt auf der Rauhen Alb verdankt er auch seinen Geburtsort Münsingen. Als dieser später in Bad Cannstadt und Waiblingen eingesetzt ist, macht Max am Cannstadter Gymnasium Abitur und schreibt sich, da er Lehrer für Deutsch und Geschichte werden will, im Wintersemester 1919 an der Universität Tübingen ein. Schon im zweiten Semester geht er nach Heidelberg, wo Friedrich Gundolf, ein glühender Anhänger Georges lehrt und später wechselt er noch einmal nach Marburg, wo seit 1920 Friedrich Wolters, ebenfalls eine zentrale Figur in der Gefolgschaft Georges, einen Lehrstuhl inne hat.

Kommerell im Kreis Georges

Die Nähe zu George war gebahnt und auch Kommerell geriet in diesen Sog. Bald hatte er wichtige Aufgaben im Kreis Georges, von 1924 bis 1928 war er sogar sein Sekretär. Erst nach einer lang entwickelten Entfremdung konnte er sich um 1930 aus Georges Umklammerung befreien.

Kommerell hatte sich zwischenzeitlich habilitiert und lehrte ab 1930 an der Universität Frankfurt. Erst 1941 wurde er als Ordinarius nach Marburg berufen, wo er jedoch schon 1944 durch die Folgen einer Lebererkrankung starb.

Literaturwissenschaftler, Autor, Übersetzer

Kommerell war zuerst und immer Literaturwissenschaftler, er hat als solcher mehrere umfangreiche und allgemein anerkannte Bücher veröffentlicht, begonnen 1925 mit der Buchausgabe seiner Dissertation über das Verhältnis von Jean Paul und Rousseau. Ihr folgte 1928, noch ganz im Geist seiner Anhängerschaft von Stefan George geschrieben, ein Buch über den Dichter als Führer, dargestellt am Beispiel der wichtigsten Schriftsteller der deutschen Klassik. Unter den weiteren ein Buch über Jean Paul (1933), das deutsche Lied (1936), Lessing und Aristoteles (1940) und seine auch noch heute verbreiteten „Gedanken über Gedichte“ (1943), sowie eine zweibändige, posthum erschienene Monografie über Calderon (1946).

Als Übersetzer hatte er aus dessen Werken mehrfach Übertragungen veröffentlicht, erstmalig aufgetreten in dieser Funktion war er 1931 mit der Übertragung von Michelangelos Dichtungen.

Von seinen zahlreichen kleineren Arbeiten, die u.a. in der im Verlag der Bremer Presse erschienenen Zeitschrift „Corona“ herausgebracht wurden, ist vor allem seine 1930 veröffentlichte Antrittsrede an der Universität Frankfurt erwähnenswert, war sie doch ein posthumer Schulterschluss mit seinem bereits 1929 verstorbenen und so wie er selbst entlaufenen Co-Georgejünger Hugo von Hofmannsthal, dem diese Rede galt.

Max Kommerell als Ordinarius in Marburg im Jahr vor seinem Tod 1943

 

 

 

1937 auf Rügen mit Hans Georg und Frieda Gadamer

Als Schriftsteller hat er die Erzählung Hieronima, die in Zweitveröffentlichung in der Insel-Bücherei weite Verbreitung fand, ein Trauerspiel und „Kasperle-Spiele für große Leute“ veröffentlicht, in erster Linie war er jedoch ein heute zu Unrecht vergessener Lyriker. Sechs schmale Bändchen flossen aus seiner Feder in die Regale der deutschen Buchhandlungen, mit 30 bis 50 Seiten recht schmalbrüstig, doch gehaltvoll.

Kommerell als Lyriker

Zu Beginn 1931 waren es „Leichte Lieder“, 1933 „Das letzte Lied“, zwei Jahre danach „Dichterisches Tagebuch“ (1935). Alle sind im Verlag Vittorio Klostermann in Frankfurt erschienen. Dieser, im gleichen Alter wie Kommerell, hatte den Verlag erst Ende 1930 gegründet, Kommerell war es in gleicher Zeit gelungen Georges Einfluss zu entrinnen. Beiden standen also an einem entscheidenden Wendepunkt ihres Lebens, Kommerell wurde zum wohl ersten festen Autor Klostermanns, dieser ein treuer Freund und Unterstützer des Dichters. 1938 kam es zwar zu einer Trübung im Verhältnis, da Kommerell einem Angebot Peter Suhrkamps erlag, der damals den bedeutensten literarischen Verlag Deutschlands, den S. Fischer Verlag führte. Der Wechsel basierte auf der Hoffnung einer weiteren Verbreitung seiner Gedichtbände. Es erschienen unter Suhrkamps Verlagsleitung „Mein Anteil“ (1938) und „Die Lebenszeiten“ (1942). Als der erhoffte Erfolgsschub ausblieb und Suhrkamp zudem Probleme hatte den nächsten Gedichtband Kommerells „Mit gleichsam chinesischem Pinsel“ auf den Markt zu bringen, kehrte er reumütig zu Klostermann zurück. Die 1944 gedruckten Bücher wurden aber durch Kriegseinwirkungen zerstört und konnten erst nach dem Tod Kommerells 1946 nochmals erscheinen.

Ein weiteres Buch Kommerels ist noch erwähnenswert. 1929 erschienen in Berlin bei Otto von Holten im Verlag der Blätter für die Kunst „Gespräche aus der Zeit der Deutschen Wiedergeburt“. Der schmale Band enthält die acht Dialoge „Winckelmann in Triest“, „Herders Krankenzimmer in Strassburg“, „Köln, Japach’s Saal“, „Weimar, Silvester MDCCC“, „Quartier zu Niederrossla“, „Tag in Erfurt“, „Herders Sterbezimmer“ und „Hölderlin auf der Heimkehr von Bordeaux“.

Diese „Gespräche“ haben in Entstehung und Inhalt sicher einen engen Bezug zu Kommerells Lehrtätigkeit, mit der Form und ihrer erhabenen Sprache folgen die Dialoggedichte dem Meister Stefan George, nachzulesen im 1928 erschienenen Band „Das neue Reich“. Unter den Akteuren, hier wie da, u.a. Goethe und Hölderlin.

Für mich der interessanteste Beitrag, wenngleich sehr schwer verstehbar, der achte Dialog über Hölderlins Heimreise von Bordeaux im Mai und Juni 1802, markiert diese doch den Anfang einer tiefen Zäsur, nicht nur im Leben Hölderlins, sondern auch im Zeitalter, das wir unter dem Begriff der Weimarer Klassik kennen.

Marburg um 1935
1944 Totenmaske

Kurze Auswahlbibliografie der literarischen Veröffentlichungen von Max Kommerell

Gespräche aus der Zeit der Deutschen Wiedergeburt                                                                                                                                                                                                                 Verlag der Blätter für die Kunst Otto von Holten                                                                                                                                                                                                                  Berlin 1929 50 S.                                                                                                                                                                                                                                                                         —                                                                                                                                                                                                                                                                                                 Leichte Lieder                                                                                                                                                                                                                                                                               Vittorio Klostermann Frankfurt a. Main 1931 17 Bl.                                                                                                                                                                                                                     –                                                                                                                                                                                                                                                                                              Das letzte Lied                                                                                                                                                                                                                                                                              Vittorio Klostermann Frankfurt a. Main 1933 19 Bl.                                                                                                                                                                                                                     –                                                                                                                                                                                                                                                                                                 Die Legende von den vier Teilen des Tage                                                                                                                                                                                                                                   1934                                                                                                                                                                                                                                                                                             –                                                                                                                                                                                                                                                                                 Dichterisches Tagebuch                                                                                                                                                                                                                                                                Vittorio Klostermann Frankfurt a. Main 1935 66 S.                                                                                                                                                                                                                      –                                                                                                                                                                                                                                                                                              Oden und Legenden                                                                                                                                                                                                                                                                    1935                                                                                                                                                                                                                                                                                             –                                                                                                                                                                                                                                                                                                     Die von einer jungen Frau gebrochene und geküßte Schlüsselblume spricht                                                                                                                                                                             [Gedicht, vom Autor geändert: „Monolog der von einer jungen Frau gebrochenen und geküßten Schlüsselblume vor dem Tod zwischen weißen Briefblättern                                               1936                                                                                                                                                                                                                                                                                              –                                                                                                                                                                                                                                                                             Übertragungen aus Calderon                                                                                                                                                                                                                                                       1936                                                                                                                                                                                                                                                                                              –                                                                                                                                                                                                                                                                                                Neue Calderon-Übertragungen                                                                                                                                                                                                                                                    1937                                                                                                                                                                                                                                                                                              –                                                                                                                                                                                                                                                                                          Eichen bei Schwanheim                                                                                                                                                                                                                                                                1937                                                                                                                                                                                                                                                                                             –                                                                                                                                                                                                                                                                                             Mein Anteil                                                                                                                                                                                                                                                                                   S. Fischer Verlag Berlin 1938 47 S.                                                                                                                                                                                                                                             –                                                                                                                                                                                                                                                                                               Die Lebenszeiten                                                                                                                                                                                                                                                                          S. Fischer Verlag Berlin 1942 44 S..                                                                                                                                                                                                                                             –                                                                                                                  Spiegelbild                                                                                                                                                                                                                                                                                    1942 (Gedicht)                                                                                                                                                                                                                                                                                      –                                                                                                                                                                                                                                                                                                Mit gleichsam chinesischem Pinsel                                                                                                                                                                                                                                             1. Auflage Vittorio Klostermann Frankfurt a. Main 1944 36 S                                                                                                                                                                                  kriegsbedingt vernichtet                                                                                                                                                                                                                                                               2. Auflage Vittorio Klostermann Frankfurt a. Main 1946 32 S.                                                                                                                                                                                                     –                                                                                                                                                                                                                                                                                         Einzeln veröffentlichte Gedichte                                                                                                                                                                                                                                                  –                                                                                                                                                                                                                                                                                               Aus dem Nachlass                                                                                                                                                                                                                                                                       –

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