Joseph Fischer, alias Hyazinth Wäckerle
Nur drei Jahre nach dem Debüt von Franz Keller trat hier im Mittelschwäbischen ein weiterer Autor ans Licht der Öffentlichkeit. Es war der aus Ziemetshausen, einem Dorf das an der Landstraße von Krumbach nach Augsburg gelegen ist, stammende Joseph Fischer. Er ist bis heute einer der bekanntesten Mundartdichter in Bayerisch-Schwaben, seine Gedichte werden noch immer viel gelesen und rezitiert und seine vertonten Gedichte haben Eingang gefunden in alle Liederbücher unserer Region. Wenn Sie ihn trotzdem nicht kennen, so ist das ganz normal, denn er ist fast ausschließlich unter dem von ihm verwendeten Pseudonym Hyazinth Wäckerle bekannt. Er ist der erste in einer langen Reihe von Autoren, deren Berufstand lange Zeit die Mundartautorengemeinde dominierte, denn er war Lehrer, genauer Seminarlehrer an der Lehrerbildungsanstalt in Lauingen.
Er kam aus einfachen Verhältnissen, sein Vater war der „Augsburger Bote“ Ziemetshausens, d.h. er fuhr mit seinem Pferdefuhrwerk wöchentlich nach Augsburg, nahm Ladung für die Stadt mit und lieferte sie aus und brachte im Gegenzug Waren aus der Stadt mit für seine Ziemetshauser Mitbürger. Die Fahrt war weit, etwa 30 Kilometer, anstrengend und gefährlich wie sich später erwies, denn er starb schon 1843 an den Folgen eines auf der Fahrt erlittenen Unfalls. Der am 16. Mai 1836 geborene Joseph wurde damit mit 7 Jahren Halbwaise und der alleinigen Fürsorge seiner Mutter überantwortet. Trotz der materiellen Armut schaffte es die Mutter aber trotzdem ihn mit 13 Jahren, seinen Begabungen gemäß, auf die nächste Vorbereitungsschule nach Schwabmünchen zu schicken. 1853 wurde er mit 17 Jahren ins Schullehrerseminar in Lauingen aufgenommen, das er 1855 als Drittbester abschloss. Noch im gleichen Jahr konnte er seine erste Hilfslehrerstelle in Waltenhofen bei Kempten antreten.
Wäckerles Kaufbeurer Zeit wird meist idyllisiert betrachtet und als seine glücklichste Lebensphase angesehen. Durch die Doppeltätigkeit und -besoldung war er finanziell besser gestellt, er hatte eine angesehene Stellung und gehörte zu den Honoratioren der Stadt, doch die Arbeitsbelastung war dementsprechend hoch. Durch die Heirat der Brauers- und Gastwirtstochter Anna Philomena Schmid 1868 kam auch sein privates Leben in neue Bahnen. Wäckerle thematisiert das Liebesglück mit seinem „Schätzle“ auch mehrfach in seinen Gedichten. Getrübt wurde die Familienfreude leider durch den frühen Tod seiner in dieser Zeit geborenen Söhne, nur die Tochter Barbara überlebte die Säuglingszeit. Ein viertes Kind, der Sohn Raimund, wurde erst in Lauingen geboren. Er trat beruflich in die Fußstapfen seines Vaters und betreute später Wäckerles Nachlass.
1872 kehrte Wäckerle als Seminarlehrer für deutsche Sprache und Literatur nach Lauingen zurück. Eine neue und letzte Lebensphase für Wäckerle begann, die ihm die Möglichkeit gab den Ertrag seines Lebens einzubringen. Die bayerische Schulpolitik hatte inzwischen ihren nach den revolutionären Vorgängen der 1848er Jahre eingeschlagenen rückwärts gerichteten Kurs zu Gunsten einer fortschrittlichen, wirtschaftlichen Entwicklungen Rechnung tragenden und weltoffeneren Maxime revidiert.
Auch im praktischen Schuldienst bestätigte er seine pädagogische Leistungsfähigkeit trotz schwieriger Arbeitsbedingungen, insbesondere durch sehr hohe Schülerzahlen. Schon nach drei Jahren wurde er als Hilfslehrer wieder zurück ans Lauinger Seminar versetzt, wo er vor allem auch seine musikalische Weiterbildung und Tätigkeit voranbringen konnte. So konnte er 1865 wieder in den normalen Schuldienst zurückkehren und eine Stelle als Lehrer und Chorregent in der Stadt Kaufbeuren antreten.
Unverzüglich machte er sich daran seine literarischen und wissenschaftlichen Arbeiten zu veröffentlichen. Erstes Ergebnis dieser Veröffentlichungen war bereits 1873 ein Beitrag im Jahresbericht der Seminars Geschichte des k. Schullehrer-Seminars Lauingen, das 1875 auch als Einzeldruck erschienen ist. In diesem jahr erschien auch das für uns hier wichtigste Buch Gau! Stau! Bleiba lau!, sein erster Band mit Mundartgedichten. Noch ganz getragen von der Reichseuphorie der Deutschen nach dem gewonnenen Krieg 1870/71 enthält das Buch auch einige „Heldengedichte“, so für Kaiser Wilhelm, Kronprinz Friedrich Wilhelm, Bismarck und Moltke. August Holder zeigt sich in seinem Beitrag über Wäckerle begeistert von der Berücksichtigung des „Tagesgetriebes der Politik“ und stellt fest: „Zum Bedauern mancher guten Deutschen sind eine Anzahl von mundartlichen Heldengedichten aus der Zeit des großen Krieges nicht mehr in die Neubearbeitung des ersten Bändchen aufgenommen worden.“ Diese Neubearbeitung erschien als „Zweite, gänzlich umgearbeitete und stark vermehrte Aufl. von Gau! Stau! Bleiba lau!“ im Jahr 1879 unter dem Titel Bis auf’s Würzele.
Wäckerles Erscheinen auf dem schwäbischen Buchmarkt der Mundartlyrik fand aber nicht nur Beifall, sondern er wurde von seinem Kollegen Franz Keller, der wohl eine Beeinträchtigung seiner „Karitativpfründe“ fürchtete, scharf angegriffen und zurückgewiesen. Der Streit kam durch eine missverständliche Strophe im letzten Gedicht von Gau! Stau! Bleiba lau! in die Welt. Keller fühlte sich angegriffen und führte die entstandene Fehde unerbittlich über Jahre fort. Selbst ein versöhnliches Gedicht Wäckerles in seinem dritten und letzten, 1881 erschienenen Mundartband Nägelastrauß konnte Keller nicht besänftigen. Obwohl er danach als Mundartautor nicht mehr in Erscheinung tritt, wird er von Keller 1887 in seinem Band Brau’börla nochmals unangemessen scharf attackiert.
Wäckerle hat an Kellers Gezänk kein Interesse und antwortet nicht, er ist mit den schicksalshaften Wendungen seines Lebens beschäftigt. Seine geliebte Frau erkrankt und stirbt schon 1889, auch er selbst ist gesundheitlich angeschlagen und stirbt im Alter von 59 Jahren am 2. Februar 1896 in Lauingen und wird neben seiner Frau auf dem Lauinger Friedhof beerdigt.
Wäckerle hatte einen vierten Band mit Mundartgedichten fertig gestellt, der unter dem Titel Gelbfiaßler erscheinen sollte. Über seinen Verbleib besteht Unklarheit. Raimung Fischer hatte es vor seinem Tod der Handschriftenabteilung des Bayerischen Schulmuseums überlassen. 1926 hat Hans Schindelmayr, der Hauptlehrer in Neuburg a. d. Kammel war, eine Auswahl von Wäckerles Gedichten unter dem Titel Grüaß di Gott Ländle im Literarischen Institut von Haas & Grabherr in Augsburg herausgegeben, darin hat er auch 11 unveröffentlichte Gedichte aus dem Gelbfiaßler abgedruckt. Er muss dazu das Manuskript in Händen gehabt haben. Ob es daraus wieder ins Archiv des Schulmuseums gelangt ist und wirklich in den Augsburger Bombennächten des Zweiten Weltkriegs verbrannt ist, oder ob es bei ihm verblieb und vielleicht noch irgendwo existiert?
Das von Hans Schindelmayr als Titel ausgewählte Grüaß di Gott, Ländle ist inzwischen zur wohl bekanntesten Schlagzeile der Mundartliteratur von Bayerisch-Schwaben geworden.