Heinrich Unsin und Adam Rauh in Augsburg _______________________________________________________
Die hochsprachliche Lyrik Deutschlands war in den Jahren nach 1914, in den Strömungen des Expressionismus und des Dadaismus, erheblichen Beeinträchtigungen ausgesetzt. Viele literarische Werte gingen verloren. Die Mundartliteratur hat diese Zeiten besser überstanden. Schon 1923, im Jahr der extremsten Hyperinflation in Deutschland, veröffentlichte der Augsburger Kaufmann Heinrich Unsin im Selbstverlag einen kleinen Band mit Mundartgedichten unter dem Titel Feldbleamle. Unsin war 1865 in Augsburg geboren worden, sein Sterbejahr kennen wir nicht (nicht vor 1934).
1926 veröffentlichte sein Sängerfreund (beide waren Mitglieder der Liedertafel), der Augsburger Oberlehrer an der Schule am Roten Tor, Adam Rauh (1869 – 1929), im Verlag des Augsburger Schulmuseums ein noch kleineres Bändchen Heitere Gedichte in schwäbischer Mundart aus’m Schual- und Kinderleba unter dem Titel Pfeffernüßla und Zwibeba.
Hugo Maser in Memmingen ________________________________________________________
Auch in Memmingen begann die Mundart bald wieder ans Licht der Öffentlichkeit zu kommen. 1924 erschien eines des optisch schönsten Mundartbücher Bayerisch-Schwabens, Unterm Memminger Mau‘ (Nachdruck 1980). Verfasser war der ehemalige Lehrer und damalige Direktor des evangelischen Ludwigs-Lehrerinnen-Seminars Hugo Maser (5.10.1862 – 6.8.1929). Einband und Inhalt sind geschmückt durch reizende Illustrationen des bekannten Memminger Malers Joseph Madlener. Vom Buch erschien auch eine in Pergament gebundene Sonderausgabe in nur 150 Exemplaren, signiert vom Autor und vom Illustrator.
Die erste Mundartdichterin: Adelheid Scherle in Memmingen _____________________________________________

Memmingen kann sich rühmen die erste Mundartdichterin Bayerisch-Schwabens hervorgebracht zu haben, Adelheid Scherle. Geboren ist sie 1877 in Memmingen, gestorben 1954.
Ihr Buch ist leider ohne Jahresangabe gedruckt worden, es dürfte aber auch Mitte der 1920er Jahre erschienen sein.

Karl Dietmann in Krumbach und Immenstadt _____________________________________________________________
Karl Dietmann wurde am 1. Februar 1860 in HausNr. 105 in Krumbach geboren. Sein Vater, der Schmied Xaver Dietmann, der um 1830 aus Hittistetten bei Weißenhorn zuwanderte, war dreimal verheiratet. Carl Borromäus, so sein Taufname, entstammte der dritten Ehe seines Vaters. Von neun Kindern dieser Ehe überlebten nur Karl und seine 1863 geborene Schwester Creszenz das Kleinkindalter.
Karl wurde an der Lehrerbildungsanstalt in Lauingen zum Volksschullehrer ausgebildet und fand 1894 seine endgültige Anstellung und damit eine neue Heimat in Immenstadt im Allgäu. Neben seiner Lehrertätigkeit widmete er sich vor allem der Musik, war Mitglied der Liedertafel, Chorleiter und komponierte, u.a. auch mehrere Messen. Daneben galten Heimat und Natur seine Hauptaufmerksamkeit, er sammelte Mineralien und war an der touristischen Erschließung der Allgäuer Naturschönheiten beteiligt.
1926 veröffentlichte er in seiner alten Heimat Krumbach Gedichte aus Krumbach-Hürben, 1927 ein zweites Bändchen Heimatklänge aus Krumbach-Hürben. Er schreibt in Standardsprache und in Mundart, er erzählt Anedoten, Geschichtliches, über Sonderlinge und Eigenbrödler, von den Hopfengärten und vom Stangeng’haufeld, von Jugendliebe, Sängerfahrten und auch manches von seiner neuen Allgäuer Heimat. Der Reiz und Nutzen für den heutigen Leser liegt weniger im sprachlich-literarischen Feld, es sind vor allem Bücher für den Krumbacher Heimatfreund und Liebhaber der alten Zeiten.
Am 8. April 1942 stirbt Karl Dietmann in Immenstadt im Allgäu.
Für den ersten Band wird gelegentlich ein früheres Erscheinungsjahr angegeben. Da die Beiträge zum Weltkrieg nur die Jahre 1914/1915 beschreiben, wäre es aber durchaus denkbar, dass das erste Heft schon ab 1916 erschienen ist. Da ein Gedicht im Band mit der Jahreszahl 1920 angegeben wird, ist dies jedoch nicht möglich.
Max Treutwein, alias Max Gropp aus Schweinfurt ________________________________________________________
Am 2. November 1878 wurde in Scherstetten, einem kleinen Dorf in den Stauden, etwa 5 km westlich von Schwabmünchen gelegen, Max Treutwein geboren. Um die Jahrhundertwende studierte er an der Technischen Universität München, 1901 trat er in den bayerischen Zolldienst ein, wurde als Zollfinanzrat beamtet und fand ab 1904 seinen Einsatzort im Hauptzollamt Schweinfurt. Dieser Zweig der Scherstettener Bauernfamilie Treutwein fand hier eine neue, fränkische Heimat.
1926 trat er mit zwei kleinen Heften, Fuirijooh!! und D’Wallfaht auch als Mundartdichter in Erscheinung. Er wählte dazu das Pseudonym Max Gropp, nach seinem Geburtshaus, dem Groppenhof, den sein väterlicher Vorfahr Johannes Treutwein aus Mittelneufnach 1780 durch die Heirat mit Maria Groppin übernommen hatte. Den zwei dünnen Heften folgten, insbesondere in den späten 1930er Jahren, aber auch noch bis in die Mitte der 1940er Jahre hinein über zehn weitere Werke, die er im Selbstverlag drucken ließ. Oft nur 8-10 Seiten im Umfang, meist mit betont kähl klingenden Titeln versehen, fanden sie eine treue Leserschaft.
Franz Xaver Raiser in Pfronten-Halden __________________________________________________________________
Beim Stichwort Pfronten fällt jedem Mundartfreund Pius Lotter und der von ihm geleitete Autorenvereinigung Pfrontar Spinnar ein. Diese Gruppe agierte jedoch erst ab der frühen Nachkriegszeit. Ihre Wurzeln lassen sich jedoch bis ins Ende des 19. Jahrhunderts verfolgen. Zunächst waren es Vater und Sohn Eberle, die jedoch überwiegend in Hochsprache dichteten, später dann jener Franz Xaver Raiser, der im Mittelpunkt dieses Kapitels steht. er lebte vom 20. März 1879 bis zum 10. April 1948, war Bauer in Halden, dazu arbeitete er als Waldarbeiten und fertigte einfache Holz- und Küferarbeiten. Als einer der ersten hat er auch Fremdengäste beherbergt.
1926 hat er in der Nesselwanger Druckerei J. Gimber sein erstes und einziges Buch drucken lassen. Sein Titel: Pfruntar Straich und Schprüch i Pfruntar Schprach. Es war nur ein schmales Bändchen von 35 Seiten und erschien unter dem Pseudonym Scholza Vere, das er von seinem Hausnamen Scholzenhof abgeleitet hatte. Dr Scholza Vere berichtete darin von lustigen Pfrontner Begebenheiten und Eigentümlichkeiten. da sein Büchlein heute fast unauffindbar ist, kennt man seine Gedichte nur aus den einschlägigen Anthologien Biera ond Zelta und Pfrontar Spinnar und Originale.
Das Leiden der deutschen Bevölkerung geht in den 1920er Jahren unvermindert weiter. Der Absturz von den Glanzzeiten der Jahrhundertwende war tief und jäh, jeglicher Nationalstolz ging in den Niederlagen des Weltkrieg verloren, Verzweiflung füllte die Lücken. Die Inflation hatte selbst das vermögendere Bürgertum an den Bettelstab gebracht, die demokratisch gewählten politischen Führer der Weimarer Republik waren den großen Aufgaben nicht gewachsen, woher auch sollten sie die Fähigkeiten dazu haben – Demokratie war Neuland. Große Börsenkrisen, 1927 in Deutschland, 1929 in den Vereinigten Staaten von Amerika brachten weitere Wirtschaftsdepression, Niedergang und Verarmung der Bevölkerung.
Doch es taten sich neue Hoffnungen und Kräfte auf. Eine neue Generation war herangewachsen, die zunehmend versuchte sich den Problemen aktiv zu stellen.
Auch für die Lyrik kam eine sehr fruchtbare Zeit in den frühen 30er Jahren. Hatten sich früher ältere Herren befleißigt gefühlt ihre in Jahrzehnten zusammengetragenen Gedichte noch der Öffentlichkeit zu übergeben, um sie damit vor dem sicheren Vergessenwerden zu bewahren, treten jetzt jüngere Autoren vors Publikum, die im Schriftstellertum eine Lebensaufgabe, eine Arbeit für die Gesellschaft, einen Ausweg aus der Depression und Hoffnungslosigkeit der Zeit sehen.
Fridolin Holzer in Weiler im Allgäu _________________________________________________
Fridolin Holzer (29. September 1876 – 25. September 1939) war 10 Jahre alt, als sein Vater 1886 die Druckerei Schwarz in Weiler kaufte. Der aus Röthenbach stammende Gebhard Holzer avancierte damit vom Volksschullehrer zum Zeitungsverleger, da die Druckerei seit 1852 ein Anzeigenblatt für das Westallgäu herausgab. Tatkräftig baute er Druckerei und Verlag aus, die er 1902 an seinen Sohn Fridolin übergab. Auch dieser vergrößerte den Betrieb weiter und war daneben jahrzehntelang als Lokalpolitiker, in Weiler im Allgäu tätig, davon viele Jahre als Bürgermeister.
1930 druckte er in seinem Betrieb wohl erstmals einen Gruß aus dem bayerischen Alemannenwinkel. Es war sein erstes Buch mit Gereimtem in Westallgäuer Mundart und trug den Titel D’Schnätterbäs vu Wilar. Nach verlegerischen Maßstäben ist dem ohne Jahresangabe gedruckte Buch dem Erscheinungsjahr 1931 zuzuordnen. Nach einem Band mit hochsprachlichen Gedichten, Der Dorfpoet 1931, folgen drei weitere Bändchen mit Mundartgedichten, so 1934 D’r Boschejohlar, 1937 Nommas Luschtegs für den Feierabend und 1938 Krottebluma. Schon ein Jahr später stirbt Fridolin Holzer als Unternehmer, Ehrenbürgermeister und Mundartdichter in seiner Heimatgemeinde Weiler im Allgäu.
Holzers Leben in einer beschaulichen Kleinstadt im bayerischen Westallgäu führte von der glücklichen Zeit des Aufschwungs der sogenannten Gründerjahre und der Hochzeit der kulturellen und wirtschaftlichen Blüte Deutschlands um die Jahrhundertwende durch den Niedergang im Ersten Weltkrieg und die lange Notzeit der Nachkriegszeit bis hinein in wirtschaftliche Stabilisierung der frühen 1930er Jahre. Als Familienvater und Bürgermeister, als Unternehmer und Arbeitgeber musste er Tun und Lassen alltäglich abwägen, eine gewisse Nähe zum damals herrschenden NS-Regime konnte er realistisch betrachtet als Publizist nicht völlig vermeiden. Dies schlägt sich unvermeidlich auch in seinen Büchern nieder. Seine Nachfolger im Betrieb spürten es nach dem Zweiten Weltkrieg hart, da die französischen Besatzungsbehörden ihr Gesuch um eine Druckgenehmigung für die Westallgäuer Zeitung über Jahre hinweg ablehnten.
Dr. Albert Baldauf aus Simmerberg _________________________________________________


Fridolin Holzer bleibt in Weiler nicht lange allein als Autor, schon 1932 meldet sich Dr. Albert Baldauf zu Wort und lässt in Holzers Verlag ein Buch mit Mundartgedichten.
Baldauf ist am 8. August 1880 in Simmerberg geboren. Sein Vater Peter Baldauf wird im Taufbuch als Wachszieher bezeichnet. Später wohnt die Familie im nahen Stiefenhofen. Das um die Jahthundertwende begonnene Studium der Medizin in Freiburg und München schließt er 1905 ab, seine Weiterbildung absolviert er an der Münchner Poliklinik. Danach geht er zurück in die Westallgäuer Heimat, betätigt sich als praktischer Arzt in Lindenberg und heiratet dort 1909 die Tochter eines Strohhutfabrikanten. Seine endgültige Lebensstellung findet er jedoch in Schwarzenberg, einer damals etwa 12 000 Einwohner zählenden Industriestadt auf der Höhe des Erzgebirges, nahe der böhmischen Grenze. Er praktiziert dort als Facharzt für Hals-Nasen-Ohren Heilkunde. Dass er jedoch seiner Westallgäuer Heimat immer verbunden bleibt zeigt sich u.a. daran, dass er 1955 im Verlag des Heimatpflegers von Schwaben ein kleines Westallgäuer Wörterbüchlein veröffentlicht. Seine Pläne für ein weiteres Lyrikbuch kommen leider nicht zum Abschluss.
Am 12. März 1959 stirbt er in seiner zweiiten Heimat Schwarzenberg im Erzgebirge.



Friedrich Wilhelm Hermann in Memmingen __________________________________________
Die Stadt Memmingen hat eine ganze Reihe Mundartautoren hervorgebracht. Johannes Müller und Hugo Maser haben wir ja in den ersten Kapiteln schon kennengelernt.
Die Stadt hat eine ausgeprägte und traditionsreiche Festkultur, deren zentrale Veranstaltung der jährliche Fischertag ist. Dabei werden die Stadtbäche abgefischt, der Fischerkönig gekürt und die Bäche einer alljährlichen Säuberung unterzogen. Den Ablauf sichert der Fischertagsverein, dessen Hauptperson nicht, wie man vermuten wird der Vorstand oder der Fischerkönig, sondern der Oberfischer. Er formuliert den jährlichen Fischerspruch und trägt ihn der Festversammlung am Fischertag vor. Die Berufung zum Oberfischer ist eine große Ehre und ist mit Achtung und Ansehen in der Stadt verbunden.
1925 wurde der Memminger Schneidermeister Friedrich Wilhelm Hermann in dieses Amt berufen.
Er wurde am 16. September 1888 in der Memminger Rosengasse geboren, seine Familie, auch sein Vater war schon Schneidermeister, lebte später in der kleinen Krautgasse, direkt neben der nordöstlichen Stadtmauer. Mundartgedichte schrieb er schon seit seiner Schulzeit, war er doch bei Hugo Maser zur Schule gegangen.
Er lernte das Schneiderhandwerk bei seinem Vater, ging danach auf die Walz, leistete seinen Militärdienst im fernen Würzburg und verbrachte seine Dienstzeit während des Ersten Weltkriegs in Heimatverwendung als Schneider in Ulm.
Nach dem Krieg kehrte er heim, arbeitete als Schneider und nahm sehr intensiv am städtischen Leben teil, war Kirchenvorstand und Mitgründer des Theatervereins, an dessen Aufführungen er als Stückeschreiber und Mitspieler beteiligt war. Durch seine Vorarbeit bestens empfohlen kam er nun 1925 in das Amt des Oberfischer und erfüllte es, solange wie kein anderer 40 Jahre lang mit Bravour.

Friedrich Wilhelm Hermann beim Vortragen seines ersten Fischerspruchs 1925
Der Memminger Autor Herbert Heuß beschreibt auf den Internetseiten (www.fischertagsverein.de) des Fischertagsvereins einige der Memminger Originale, darunter auch die von F. W. Hermann in seinem Buch beschriebene Turabull. Sie können den interessanten Artikel unter folgendem Link direkt ansehen. https://www.fischertagsverein.de/gruppen/memminger-originale/turabull/
1935 folgt als zweiter Band An d’r blaua Saul, dem eine Memminger Begebenheit den Titel gibt. Auch die anderen Beiträge erzählen wieder ganz von der Heimatstadt, u.a. ein Gedicht über Hugo Maser.
1936 gibt es eine zweite Auflage seines Erstlings, allerdings von 95 auf 160 Seiten erweitert. Auch die politische Landschaft in Memmingen hat sich verändert, die Nationalsozialisten haben das Regiment übernommen. Hermann überlässt das Buch jetzt dem Allgäuer Beobachter, der ältesten nationalsozialistischen Tageszeitung in Schwaben, zur Veröffentlichung und schreibt dafür ein großes Vorwort unter dem Titel ″Heil unserem Führer!″
1941 wird das Buch nochmals gedruckt mit dem Untertitel Ein Heimatgruß des ″Allgäuer Beobachter″ für unsere Soldaten, allerdings reicht die zugeteilte Papierration nur für 47 Seiten.
Die Nachkriegszeit bringt eine lange Durststrecke, die Fischersprüche werden zwar noch veröffentlicht, 1950 zudem noch das Heimatfestspiel Welf VI in Hochsprache über die Stadtgründung Memmingens.
1965 tritt er letztmals als Oberfischer beim Fischertag auf, 1966 übernimmt Karl Bäßler das Amt für 13 Jahre.
Am 30. Juni 1973 stirbt Friedrich Wilhelm Hermann in Memmingen.
Arthur Maximilian Miller aus Mindelheim ___________________________________________
Am 15. 1. 1933 schreibt ein junger Lehrer aus Immenstadt seinem Hindelanger Kollegen Karl Hafner, der es durch zahlreiche Vertonungen von alten und neuen Mundartgedichten seiner Ostrachtaler Heimat geschafft hat ein neues Heimatbewusstsein, ja einen neuen Heimatstolz zum Leben erweckt zu haben, eine kleine Widmung in sein neu erschienenes Büchlein – mit einer kleinen ziemlich mäßigen Zerknirschung.
Es ist der am 16. Juni 1901 in Mindelheim geborene und von 1917 bis 1920 an der Lehrerbildungsanstalt in Lauingen ausgebildete Arthur Maximilian Miller. Die darauf folgenden vier Jahre seiner Vorbereitungszeit verbrachte er an den Schulen in Mindelheim, Wiggensbach, Ettringen und in Haselbach, einem kleinen Weiler mit kaum 100 Einwohnern im Landkreis Neuburg a. d. Donau.
Als Autor ist er 1933 kein Unbekannter mehr, fühlt er sich doch seit seiner Schulzeit zu Literatur und Kunst hingezogen und hat schon 1928 eine Erzählung über den Mindelheimer Landsknechtsführer Jörg von Frundsberg veröffentlicht. Zudem zwei weitere Bücher, so 1931 den sehr erfolgreichen Roman Das Jahr der Reife, in dem er sein Werden als Lehrer, seine vier Jahre der Vorbereitungszeit eindrücklich beschreibt. Im Mittelpunkt steht insbesondere das letzte, das Haselbacher Jahr, das ihm lebensprägende Veränderung bringt.
Er verzichtet in seinen Gedichten auf effekthaschenden Situationshumor, will nicht bierselige Honoratioren zum Lachen bringen, begnügt sich nicht damit Kurzzeilentexte mit Endreimen aneinander zu reihen, er erzählt einfach von den Leuten, ihrem Leben, von Lieb, Leid und Zeit und das nicht nur mit Worten, sondern vor allem und immer und unaufdringlich mitreißend, mit lebendigem Rhythmus. Es ist seine Doppelbegabung für Wort und Musik, die ihm ermöglicht diesen Meilenstein der Mundartlyrik zu erschaffen. Sein umfangreiches Roman- und Erzählwerk ist dem Vergessen anheimgegeben, diese Gedichte aber werden leben.
Schon im nächsten Jahr folgt, auch im Augsburger Verlag des Bayerischen Schulmuseums, eine zweite Ausgabe, erweitert durch ein kleines und ein großes Hirtenspiel und eine fiktive Gesprächsszene zwischen seiner Base und seinem dichterischen Mindelheimer Vorfahren Jörg von Spitzispui. Dann wird es ruhig mit dem Mundartlichen, er schreibt mehr hochsprachlich, veröffentlicht Erzählungen und Novellen und vor allem versucht er seinen Beruf und sein schriftstellerisches Dasein trotz der tiefgreifenden politischen Veränderungen der Zeit unbeschadet fortzubringen.
Hex am Bendl
Hex am Bendl, Hex am Drauht ―
Weisch it, wia der Waga gauht?
Gauht’r g’stätla,
Grutzgat’s Rädla.
Gauht’r weidla,
Lupfts der’s Kleidla;
Gauht’r linder, gauht’r hoila,
Schnappt’r g’schwinder iber Stoila.
Gauht’r holprig, gauht’r knagglig,
Weards ′m Fuahrma′ koiz und schlagglig.
Gauht’r gampig, gauht’r krumm,
Duats’n Schnall, nau fallt’r um.
Viele von Millers Gedichten werden vertont, meist von Otto Jochum. Er schreibt weiter an seinem Prosawerk, aber auch hochsprachliche Lyrik. Die Arbeit für die Kinder ist ihm ein besonderes Anliegen, dafür entstehen zahlreiche kleine Theater- und Spielstücke, vor allem für Schulaufführungen.
Seit Anfang der 20er Jahre beschäftigt er sich zusammen mit seinen Brüdern intensiv mit dem Schattenspiel, sie fertigen die dazu benötigten Scherenschnittfiguren selbst an. Auch mehrere seiner Bücher widmet er diesem Thema.
1938 wird Miller nach Kornau, einem kleinen Weiler bei Oberstdorf versetzt. Er muss dort eine einklassige Dorfschule leiten, d.h. alle Klassen sind gleichzeitig zu unterrichten, dass er trotz der Ruhe des kleinen Ortes meist an seiner Leistungsgrenze arbeiten muss.
Er schafft es zwar diese schwere Zeit zu überstehen, muss allerdings nach 1945 für zwei Jahre dem Schuldienst fern bleiben, da er Mitglied der nationalsozialistischen Lehrervereinigung war. Erst 1947 kann er wieder als Leiter ins Kornauer Schuhaus zurückkehren.
1954 werden die Schwäbischen Gedichte nochmals erweitert im Memminger Dietrich Verlag gedruckt. Erst 1976 gibt die aus seinem Mindelheimer Gäu stammende, wie er nach Immenstadt verpflanzte Kollegin Maria Hefele, wieder eine kleine Erinnerung an seine Gedichte heraus. Für die schwäbische Jugend heißt ihre Auswahl.

In kurzer Folge entstehen jetzt viele seiner bekannten Prosawerke, mehrere große Romane, Biografisches, Märchen, und, und, und ….
1959 kann er aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig in Ruhestand gehen und sich ganz seiner schriftstellerischen Arbeit widmen.
Erst in späteren Jahren wendet er sich wieder mehr der Mundart zu. So entstehen Das schwäbische Jahr, ein Kalenderbuch, Mei’ Pilgerfahrt durchs Schwabeländle, Jösses, dr Herrgott isch g’stohle und als für uns Mundartfreunde wichtigstes, 1980 die Gesamtausgabe seiner Schwäbischen Gedichte.
Im höheren Alter zieht sich das Ehepaar Miller nach Ottobeuren zurück, sie leben dort seit 1989 in der modernen Seniorenresidenz ″Am Sonnenbühl″ , nur wenig westlich des Zentrums und des Klosters, das für Miller zeitlebens einen besonderen Bezugspunkt darstellte. Schon im Folgejahr stirbt seine Frau Magdalena (geborene Kleiner), die er seit seinen Mindelheimer Jugendtagen kannte. Als er am 18. Februar 1992 stirbt ist er der wohl bekannteste Dichter der Zeit in Bayerisch-Schwaben und überhäuft mit zahlreichen Auszeichnungen, er ist Ehrenbürger von Mindelheim und Oberstdorf, trägt das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse, den Bayerischen Verdienstorden, die goldene Verdienstmedaille des Bezirks und als besondere Ehrung die fünfthöchste päpstliche Auszeichnung, den Sylvesterorden. Hinzu kommen zahlreiche literarische Ehrungen, vom Deutschen Jugendbuchpreis bis zum Sieben-Schwaben-Preis des Bezirks Schwaben.
Seinen Nachlass, einschließlich Haus Bonatz in Kornau, sein Wohnhaus über Jahrzehnte, hat Miller dem Bezirk Schwaben anvertraut. Die dafür geschaffene Arthur-Maximilian.Miller.Stiftung bewahrt die literarische Hinterlassenschaft, sorgt für wissenschaftliche Bearbeitung und Veröffentlichungen. Haus Bonatz hat der Bezirk, da eine sinnvolle Betreuung nur ortsnah möglich erscheint, dem Oberstdorfer Kulturzentrum Villa Jauss e.V. zur Betreuung übergeben.
Obwohl Millers Mundartgedichte zu den schönsten Schöpfungen Schwabens gehören, ist er kein Dialektautor, sein Bestreben zielt, auch wenn sein Thema meist Heimat und Frömmigkeit sind, auf hochsprachliche, deutschlandweit ausstrahlende Beachtung. Miller steht nicht unter und bei seinen schwäbischen Lesern, seine Wahlverwandten sind Honoratiorenschaft und höhere Geistlichkeit. Wohl auch deshalb ist sein Werk so schnell aus der Aktualität verschwunden, dem Bezirk Schwaben ist deshalb für die übernommene schwere Last der Nachlasspflege besonderer Dank auszusprechen.
Wilhelm Wörle in Mittelschwaben __________________________________________________
Zwei Jahre nach Millers Debüt tritt der nächste Lehrer als Mundartdichter hervor, diesmal in Mittelschwaben. Es ist der am 3. Januar 1886 in Silheim, einem beschaulichen Dorf zwischen Ulm und Günzburg gelegen, geborene Wilhelm Wörle. Er ist das dritte von vier Kindern des Lehrers Johann Wörle und dessen Ehefrau Ursula, geborene Kempfle aus dem nahegelegenen Unterreichenbach. Auch Johann Wörle schreibt schon Gedichte, ist musikalisch gebildet und komponiert. Er ist 1859 in Mittelstetten bei Schwabmünchen als Sohn eines Wagnermeisters geboren, der aus dem altbayerischen Hohenzell bei Odelzhausen zugewandert ist.

Doch das junge Glück ist der Familie nicht treu, Johann Wörle erkrankt, seine zunehmende Lungenschwindsucht erzwingt seine Pensionierung in jungem Alter. Um unter diesen Umständen wirtschaftlich überleben zu können, zieht die Familie mir ihren vier Kindern nach Unterreichenbach, einem kleinen Weiler mit vier Bauernhöfen nahe Weißenhorn. Ursula Wörle arbeitet als Magd in der großen Landwirtschaft der Eltern und kann so, nachdem ihr Mann 1894 im Alter von nur 35 Jahren stirbt, sich und ihre Kinder mit der kleinen Lehrerpension durchbringen. Sie schafft es sogar ihren Söhnen Wilhelm und Karl die Ausbildung zum Lehrer zu ermöglichen. Wilhelm Wörle absolviert den Vorbereitungsunterricht in Marktoberdorf, die anschließend mögliche Lehrerausbildung erhält er auf dem Seminar in Lauingen. Seine vierjährige Zeit als Hilfslehrer führt ihn durch ganz Bayerisch-Schwaben. Er ist tätig in Holzgünz nahe Memmingen, im abgelegensten Gebirgswinkel in Balderschwang, in Uttenhofen in der Reischenau und im ursprünglich erhaltenen Rodungsdorf Baiershofen, unweit der bekannten Wallfahrt Violau. Nach bestandener Anstellungsprüfung wird er ab 1912 in Willmatshofen in den Stauden eingesetzt, in die Region in der damals der Staudendichter Georg Mader lebte und wirkte.
Wörle war Lyriker durch und durch, daneben befasste er sich mit Heimatkunde und Volkskultur. Sein dichterischer Nachlass enthält etwa 2500 Gedichte, darunter auch längere Zyklen, z.B. über die Städte Bayerisch-Schwabens, aber auch Hörspiele und Volksstücke. Eine besondere Leidenschaft war ihm das Dichten in altgriechischen Versmaßen.
Mit einer Buchveröffentlichung ist er aber erst 1935 hervorgetreten. Es war wohl die neue Besinnung auf die niedergegangene deutsche Kulturleistung die ihn antrieb. Er stand damit den nationalsozialistischen Kulturbestrebungen nahe. I bi a Baur!, nannte er dieses erste, 1935 im Eigenverlag erschienene Buch. Er beginnt es mit dem Kapitel Us d’r nuia Zeit, spricht dann Vom Hoimatle, Von d’r Liab und bringt zum Abschluss noch Öbbes Luschtigs von de Siacha.
Das Buch ist ein Dokument der Zeit, so wie Wilhelm Wörle eine Person dieser Zeit war, es ist damit ein Ausdruck der Hoffnung auf eine bessere, gleichgeachtete Zukunft, eine Hoffnung, die aber nur bitterste Enttäuschung enthielt.
Für Wörles Zukunft hat I bi a Baur! durchaus Verbesserungen erbracht. Seine neue Stellung als Mundartautor hat sicher mitgeholfen, dass 1938 eine Versetzung und die damit verbundene Beförderung zum Hauptlehrer an die Pestalozzischule in Augsburg erfolgt ist. Während der Kriegszeit wurde er dann innerhalb Augsburgs nochmals versetzt an die Löweneckschule.
1943 wird Wilhelm Wörle aus gesundheitlichen Gründen pensioniert. Er nutzt jetzt die verbleibende Zeit noch intensiver für seine Dichterarbeit. Ein zweites Buch lässt er aber erst 1956 im Kieser Verlag Augsburg, sein Titel – I bleib a Schwaub
Dann wird es ruhig um ihn, er scheint dem Vergessen übergeben zu sein, doch 1979 gibt der Konrad Verlag in Weißenhorn einen Sammelband seiner Werke in Druck, der ihn noch einmal ans Licht der breiten Öffentlichkeit bringt. Die Buchvorstellung in der Aula des Kollegs der Schulbrüder in Illertissen wird, unter Beteiligung vieler Sänger und Musikanten aus ganz Schwaben und dem Allgäu, zu einem großartigen Erfolg. D’Welt ischt voller Melodeia, so der Titel des Sammelbandes, wird zum Motto des Abends.
Die Konrad’sche Ausgabe findet große Verbreitung und macht Wörle in Mittelschwaben recht bekannt. Er wird damit zu einem Klassiker der schwäbischen Mundartlyrik. Seine bis heute anhaltende Wertschätzung zeigt sich durch Straßenbenennungen in mindestens fünf schwäbischen Gemeinden und der Ehrenbürgerwürde seines langjährigen Wirkungsortes Fischach-Willmatshofen.
Rechts der Hof aus dem Wörles Mutter Ursula Kempfle stammte. Hier hat Wörle seine Jugendzeit verbracht, damals Unterreichenbach Nr. 29, heute Weißenhorn, Wilhelm-Wörle-Sraße 6.

Michel Eberhardt aus Zoltingen im Kesseltal__________________________________________
Mitte der 1930er Jahre öffnet sich eine Blütezeit der Mundart in Bayerisch-Schwaben, dadurch dass zwei der beliebtesten und bekanntesten Autoren Schwabens neu angetreten sind. Arthur Maximilian Miller, einen von ihnen, haben wir schon kennengelernt. Der zweite beginnt seine Veröffentlichungsreihe 1936 ganz im Norden des Regierungsbezirkes. Es ist der am 28. Juni 1913 in einer niedrigen, strohgedeckten Bauernsölde in Zoltingen im Kesseltal geborene Michel Eberhardt. Der kleine Fluss Kessel durchfließt einen, zwischen Ries und Donautal eingezwängten Höhenzug, der sich vom westlich gelegenen Härtsfeld, mit dem herrschaftlichen Höhenkloster Neresheim, über den Markt Bissingen, zu dem Zoltingen heute gehört, hinüberreicht bis ins Wörnitz- und Donautal. Östlich von Donauwörth zieht sich dieses karge, sommertrockene und eiswindig winterkalte Land weiter über die Monheimer Alb, hin nach Eichstätt. Diese unerschlossene Gegend bot im Mittelalter ideale Siedlungsräume für die Einsamkeit suchenden Kartäuser und Zisterzienser. Im Westen gründeten sie das heute noch als Ruine beeindruckende Kartäuserkloster Christgarten, im Osten die später sehr wohlhabende Zisterzienserabtei Kaisheim.
Beide, Miller und Eberhardt eröffnen den Reigen ihrer Mundartbücher mit einem schmalen Bändchen, dem sie ein einseitiges Vorwort beigeben. Damit sind die Übereinstimmungen zwischen ihnen aber auch schon aufgezählt, denn so unterschiedlich sind diese Zwei.
Miller, der schon seit acht Jahren eine gesicherte Lehrerstelle innehatte und auch durch andere Buchveröffentlichungen bekannt war, tritt geleitet an der Hand von Joseph Bernhart, einem der führenden katholischen Autoren Schwabens ins Rampenlicht, sein vierlagiges, fadengeheftetes Bändchen, eine Erscheinung des Verlags Bayerisches Schulmuseum in Augsburg, ist fast schon ein richtiges Buch.
Ganz im Gegensatz zu Miller tritt Eberhardt, der Jungbauer, der auf dem Kleinsöldneranwesen seines Vaters mitarbeitet, allein vor den Vorhang und präsentiert sich dem überraschten Publikum mit einer eigenen Einleitung. Sein hochdeutscher Text wirkt etwas hingekünstelt und unsicher, doch führt er dieses einlagige, nur durch zwei Metallklammern zusammengehaltene, verlagslose Heft sicher zu seinen Lesern, obwohl es nur der schöne orangerote Kartonumschlag mit der schönen Titelaufschrift ″Bei os d’rhoemt″ von einem gewöhnlichen Schulheft unterscheidet.
Schon zwei Jahre später kommt eine zweite, auf 76 Gedichte vermehrte Auflage heraus. Er überlässt sie dem Verlag Georg Wagner in Nördlingen zur Veröffentlichung unter dem Titel Baurafeierte. Das Buch ist erfolgreich, doch die Zeit wird schlecht. Im gleichen Jahr zieht sich der stets kränkliche und überlastete Miller aus Immenstadt in den kleinen Weiler Kornau bei Oberstdorf zurück, um dort mehr Ruhe zu finden. Eberhardt, der der letzten Bauerngeneration angehört, die alle Bauernarbeit mit ihren Händen erledigen muss, arbeitet weiter in der kleinen Landwirtschaft der Eltern, leistet körperliche Schwerstarbeit bei geringem und unsicherem Lohn und beklagt sich nicht. Doch es kommt noch viel schlimmer, 1939 muss er in den Krieg ziehen, er durchlebt drei Fronten, das Inferno bei der Schlacht um den Monte Cassino dringt tief und bleibend in ihn ein. Eine schwere Verletzung bedingt einen langen Lazarettaufenthalt, doch er bleibt am Leben.
Bild aus der Ferne
Mei Dorf, du wearscht em Obadfrieda lega,
Vielleicht ganz golde steigt dr Vollmo auf.
Ond feuchte Oga guggat meinatwega
Vielleicht voll Sorg zum Obadsteara nauf.
Durch Früahlesgärte werd a Rauscha ganga,
A später Vogel sengt sei Obadliad.
Der Fliederbusch weard voler Dolda hanga.
’s weard sei wia allweil, wann der Früahle blüaht.
Viel hondert Stemma lebat auf em Düschtra;
En Haus ond Garta got a Sehnsucht om.
Viel hondert Stemma höar i weither flüschtra,
Allweil des oine Wöartle, allweil: Komm!
(Frankreich in Kriegsgefangenschaft 1948)
Das Gedicht der Erinnerung und Sehnsucht an die Heimat Zoltingen entstand noch kurz vor der Heimkehr 1948 in der französischen Kriegsgefangenschaft. Veröffentlicht hat er es 1953 in Einsamer Ackergang.
Diese Zeit nutzt er für literarische Arbeiten, es entsteht ein bis 2006 ungedruckter Roman in Hochsprache – Das andere Ufer.
Am Ende des Krieges kommt er in französische Gefangenschaft, aus der er erst 1948 wieder heimkehrt. Nahtlos nimmt er sein früheres Leben wieder auf. Er erbt den kleinen Hof, heiratet eine Bauerntochter aus dem Nachbardorf Leiheim, mit der er die väterliche Landwirtschaft fortführt. Er ist jetzt wieder auf der glücklichen Seite des Lebens, drei Kinder werden geboren, das erarbeitete Geld reicht um 1962 einen etwas größeren Hof in Zoltingen zu kaufen und auch an sein literarisches Dasein knüpft er erfolgreich an.
1953 erscheint, wieder bei Georg Wagner in Nördlingen, sein drittes Buch Einsamer Ackergang. Umschlag und Kapitelanfänge lässt er durch kleine Zeichnung von Magdalene Arnsperger aus Oettingen schmücken. Es ist inhaltlich und optisch ein schönes, in sich geschlossenes, harmonisches Buch, das heute leider wenig beachtet wird.
Sein erstes Kapitel Tiefere Stunde enthält 26 Gedichte in Standardsprache, darunter eines seiner bekanntesten – Sein im Wechsel
Sein im Wechsel
Mit unsern Jahren spielt der Wind;
Wir waren einmal und wir sind,
Wir blühen auf und wir vergehn
und münden ein zum Auferstehn.
Wir sind der Acker und die Saat,
Wir sind die Schnitter und die Mahd,
In unserm Wesen kreist die Zeit,
Von Ewigkeit zu Ewigkeit.
Aus Einsamer Ackergang S. 11/12
Im zweiten Kapitel Bauernchronik finden sich 39 Mundartgedichte, darunter erstmals das auch im nächsten Buch wieder aufgenommene Gedicht Johanni (siehe Abbildung weiter unten).
Eberhardt zeichnet darin am Beispiel von Rosen und Mohn, von beschütztem Garten und freiem Feld, bildhaft das Prinzip der Relativität des Daseins nach.
Eberhardts Sonderstellung als Mundartdichter wird jetzt mehr und mehr geachtet, besonders als er anfängt für den Rundfunk zu arbeiten. Allein beim Württembergischen Rundfunk in Stuttgart gehen vom 2. Januar 1952 bis zum 22. Oktober 1972 200 Sendungen, deren Texte er selbst geschrieben hat hinaus ins Land. Er beginnt mit Die 12 heiligen Nächte und endet mit Wia schnell gont oim sei Täg drvo!
Weitere Sendungen gestaltet er beim Bayerischen Rundfunk in München. Die Themen sind vielfältig, er schreibt volkskundliche Betrachtungen über Land und Leute, Dorfgeschichten, Kleidung, Trachten, Essen, Liebe und Ehe und vieles mehr, dazu Hörspiele und Mundartszenen.
In der dörflichen Gesellschaft übernimmt er wichtige Aufgabe, er wird Gemeinderat, stellvertretender Bürgermeister, Feldgeschworener und Kirchenvorstand. Als Mitglied einer seit Jahrhunderten am südlichen Riesrand ansässigen protestantischen Familie, fühlt er sich ganz dem Ries mit seiner Hauptstadt Nördlingen zugetan, das zugehörige katholische Verwaltungszentrum Dillingen im Donautal bleibt ihm immer fremd.
1959 kommt Eberhardts viertes Buch heraus, Der alte Brunnen, das heute als sein vollkommenstes Werk gilt. Viele der darin veröffentlichten Gedichte gehören heute zu den Klassikern der Rieser Literatur und erhalten die hohe Anerkennung seiner Gedichte in der nordschwäbischen Bevölkerung bis heute unangefochten am Leben.
Im selben Jahr veröffentlicht der Wagner Verlag unter dem Titel Ds Raritäta-Käschtle vom Schnoka-Karle auch noch allerhand Lustiges aus dem Ries. Hinter dem Pseudonym steht auch Michel Eberhardt, dessen Veröffentlichungsliste damit fast abgeschlossen ist. Erst viele Jahre später, 1963, folgt noch als letzter Band Mensch und Erde, Geschichten und Verse aus dem Bauernleben.
Diese erfolgreiche und glückliche Zeit als Bauer und Schriftsteller, als körperlicher Schwerstarbeiter und geistig Schaffender dauert über 20 Jahre, bricht jedoch völlig unverhergesehen 1972 abrupt ab. Der Suizid seiner Frau trifft ihn mit solch zerstörerischer Gewalt und wirft ihn aus seiner Lebensbahn. Es folgt ein tiefer Absturz, Trauer, Verlust seiner Schaffenskraft verbinden sich mit der zerstörerischen Kraft des Alkohols. Die meiste Zeit der folgenden Jahre verbringt er in ärztlicher Behandlung im Bezirkskrankenhaus Reisensburg, doch er schafft auch diesmal, eine von keinem möglich gehaltene Wende. Im Hochsommer 1976 kehrt er nach Hause zurück, voller Hoffnung und mit neu gewonnener schöpferischer Kraft.
Doch die schweren Jahre seines Lebens, Krieg, Gefangenschaft, körperliche Schwerstarbeit in der Landwirtschaft und die Jahre seiner Verzweiflung und Dunkelheit haben ihm viele Lebensjahre geraubt. So ist er schon kurz nach seinem Neuanfang am 28. Oktober 1976 völlig unerwartet, aus ärztlicher Sicht jedoch nicht überraschend, gestorben.
Die anhaltende Bekanntheit hat auch nach seinem Tod bewirkt, dass seine Werke weiter gedruckt wurden. Es entstanden mehrere Sammelbände, so 1980 Adam ond Eva em Paradies mit einer Einführung von [seinem Enkel] Martin Blümcke und zu seinem hundertsten Geburtstag 2013, herausgegeben von seinem Sohn Reinhart, ein Lesebuch mit Geschichten, Gedichte und Hörspielen. Zudem hat der einzige große Nördlinger Verlag, der sich auch mit Mundartliteratur befasst, Fritz Steinmeier, durch Neuausgaben der frühen Veröffentlichungen Michel Eberhardts für die Zugänglichkeit seiner Werke gesorgt. 2006 veröffentlichte der Verlag auch noch den bislang ungedruckten Roman Das andere Ufer. Für die Übernahme dieser verlegerischen Aufgabe sind alle Freunde der Rieser Mundart dem Verlag zu Dank verpflichtet.
2013 wurde auf Initiative der Verlegerfamilie Steinmeier, die dem Werk Eberhardt immer sehr verbunden war, auf dem Nördlinger Friedhof bei St. Emmeran eine Kalksteinstele aufgestellt zur Erinnerung an den Dichter des Rieses Michel Eberhardt. Eine weitere Würdigung wurde ihm zuteil durch die Benennung eines Wanderweges in seiner Heimatgemeinde Zoltingen.