Aufsatz von Erich Rueß

 

200. Geburtstag von Isabella Braun

Eine schwäbische Jugendschriftstellerin 1815 – 2015

Das Theatralische Schaffen der Isabella Braun“

Am 12. Dezember 2015 jährt sich der Geburtstag der Schriftstellerin, Dichterin und erfolgreichen Gründerin, Herausgeberin und Redakteurin der im 19. Jahrhun-dert sehr beliebten „Jugendblätter“ zum 200. Mal.

Die braune Bill“, wie sie ihr Bruder, Tony, nicht immer liebevoll nannte, kam im Schloss in Jettingen als Tochter des Gräflichen von Stauffenberg‘schen Rentbe-amten Bernhard Maria Braun und der Euphemia, geb. Merklin zur Welt.

Im Schicksalsjahr Napoleons 1815, sechs Monate nach der Schlacht bei Waterloo, wurde Isabella Braun geboren.

Ihre Kindheit und Schulzeit verbrachte sie bis zum Tod des Vaters, am 20. März 1827, im Schloss in Jettingen.

In diesem Schloss ist auch 1907 Claus Philipp Maria Schenk Graf von Stauffenberg geboren, ein Nachkomme der Brötchengeber von Bernhard Maria Braun. Er war der legendäre Hitlerattentäter vom 20. Juli, der 1945 im Bendlerblock sein jähes Ende fand.

Mit dem Tod des Vaters erlosch auch das Wohnrecht im Schloss.

Nach dem Verlassen der Dienstwohnung folgte im Herbst 1827 der Umzug nach Augsburg. Dort besucht Isabella Braun die Töchterschule des Englischen Instituts von 1828 bis 1834.

Der Tod des geliebten Bruders Anton, 1833, trifft sie sehr schwer.

D ie Vorbereitung auf den Lehrberuf im Kloster St. Ursula, in Augsburg schließt sich an. An ihrem 21. Geburtstag 1836 erhält sie ihr Anstellungsdekret.

Als Schulverweserin kommt sie nach Neuburg/Donau und bleibt dort bis zu ihrer frühen Ruhestandsversetzung im Alter von nur 33 Jahren bis zum Jahr 1848.

Bereits 1849 erscheinen ihre ersten schriftstellerischen Werke, darunter „Bilder aus der Natur“.

Kein Geringerer als Christoph von Schmid, der seinerzeit bekannte und gefeierte „Ostereyer-Verfasser“ schrieb das Vorwort dazu. Er war der berühmteste Kinder- und Jugendschriftsteller seiner Zeit.

Ihr Kinderlein kommet!“ aus seiner Feder ist neben „Stille Nacht“ eines der berühmtesten deutschen Weihnachtslieder.

Ab dem Jahr 1854 beginnt ihr eigentliches literarisches Schaffen in München.

Schon 1855 beginnt sie mit der Redaktion der „Jugendblätter“, die sie bis 1886 leitet. Unzählige Werke sind unter ihrer Feder entstanden. Zunächst erschienen monatlich die „Grünen Hefte“, die als Jahrgangsbuch gebunden erhältlich waren. Besonders bei Pädagogen waren ihre Werke und die Ausgaben der „Jugendblätter“ sehr geschätzt und empfohlen.

Dem königlichen Haus bleiben die vielseitigen Tätigkeiten und ihre Verdienste um die Jugendarbeit nicht verborgen. Sie hatte Kontakt zu den bayerischen Prinzes-sinnen, die sie auch als Mentorin sahen.

1 868 wird ihr die goldenen Medaille zur Förderung von Kunst und Wissenschaft durch Herzog Max von Bayern verliehen, 1879 folgt die Auszeichnung mit der Ludwigsmedaille für Kunst und Wissenschaft durch König Ludwig II.

Bis zu ihrem Tod am 2. Mai 1886 leitet sie 33 Ausgaben der Jugendblätter.

Ihre Grabstätte im Südlichen Friedhof München wird heute noch durch die Stadt München unterhalten. Im gleichen Jahr wird ihr zu Ehren in Neuburg/Donau ein Denkmal errichtet.

Das Erscheinen der „Jugendblätter“ endet nach einer langen Unterbrechung von 1933/34 bis 1948 erst im Jahr 1951 nach über 80 Jahrgangsbänden.

Beginn des „theatralischen Schaffens“

In „Bilder aus der Natur“ (1849) findet sich bereits „Theatralisches“ im Schaffen der Isabella Braun. Allerdings erst im Anhang!

Renate Miehle, die Autorin von „Die braune Bill“, beschreibt den Inhalt folgendermaßen: „Isabella Braun eröffnet dieses ihr erstes Werk, eine Sammlung von Gedichten über die Natur und ihren Schöpfer, mit einem Gruß an die Kinder. Die folgenden Gedichte beschreiben in zarter und feinfühliger Ausdrucksweise Blumen und Tiere in Wald und Wiese und künden von der Allmacht Gottes.

Der Anhang bringt ein Blumen- und Vogelspiel sowie Gedanken über den Schutzengel.“

Zum Blumenspiel (S. 107 ff) gibt Isabella folgende Hinweise: „(Die mitspielenden Kinder erhalten Namen von Blumen, besonders aber: Primel, Veilchen, Maiglöckchen, Vergissmeinnicht, Gänseblümchen, Tulpe, Rose, Lilie; dann suchen sie ein Mädchen aus, welches die Flora, Blumenkönigin, darstellt, zieren sie mit einem Blumenkranze, einen anderen Kranz trägt sie am Arme, und in der Hand hält sie einen, mit Blumen umwundenen Stab. Diese Flora stellt sich vorerst auf die Seite, – während die Andern einen Kreis bilden, und indem sie herumgehen, also sprechen:)“

Szenische Anweisungen zum Reigentanz erfolgen im Text. Im darstellenden Spiel wechselt sich dann der Chor der Blumen mit Frau Flora ab; die einzelnen Blumen werden vorgestellt und tanzen nacheinander um die Blumenkönigin. Bis die Lilie erscheint. Die heilsbringendste aller Blumen..

Der Ablauf bleibt schematisch und ist auf dem Niveau für Kindergartenkinder und Grundschüler. Das Blumenspiel ist für die Mädchen.

Die Sprache ist einfacher gehalten, als in den Naturgedichten im Hauptteil. Kindgemäßer und geeigneter zum Auswendiglernen. Im Ganzen, wie die meisten ihrer Werke, stilmäßig biedermeierisch, romantisierend und verklärt. So auch das Vogelspiel!

Beide Stücke sind in Reimform geschrieben, wobei sich Kreuz- und Paarreime mischen. Dieses Spiel, das eher für Jungen geeignet ist, ist ein Rätselspiel und erfordert vom Zuhörer mehr Aufmerksamkeit.

Die Sprech-Rollen sind anspruchsvoller. Mit Papagei und Pfau endet das Spiel – ohne weitere Anweisungen – mit der Auflösung des Rätsels.

Theatralisches“ in den Werken

Theatralisch“ Dargestelltes und szenisch Gestaltetes findet sich in vielen ihrer Erzählungen, Sagen, Märchen, Gedichten und Geschichten über all die Jahre ihres Schaffens hinweg. Bereicherungen und Stilveränderungen bringen nicht nur die „bühnen-orientierten Schriftsteller“ wie Franz Graf von Pocci und Franz von Kobell – „Kasperlgraf“ und der „Brandner-Kasper–Autor“.

Die späteren „Theaterwerke“, wie immer vorwiegend für jugendliches Publikum geschrieben, haben Situationsbeschreibung, Ambiente und genaue Regieanweisungen.

Theaterwerke

Nach den Aufzeichnungen von Maria Schneider, der Bibliografin des Buches „Die Braune Bill“, werden im Jahr 1865 „Kleine Theaterstücke für die Jugend“ in zwei Bändchen von Hurter in Schaffhausen herausgebracht. Weitere Auflagen folgen. Eine Neubearbeitung durch den Auer-Verlag in Donauwörth erfolgt 1914 durch

H. Wagner von der Pädagogischen Stiftung Cassianeum.

Der Inhalt des ersten Bändchens:

Ein Waldmärchen. Dramatisches Singspiel in drei Aufzügen

Der Sankt Nikolaus-Abend. Singspiel in einem Aufzuge

Das Namenstags-Geschenk. Ein Festspiel in zwei Aufzügen

Zur Genesungsfeier. Ein Festspiel in zwei Aufzügen

Isabella Braun nimmt wiederum die Natur, Jahresfeste und familiäre Feiern zum Anlass für die szenische Darstellung.

Im „Waldmärchen“ interagieren König Lenz, Flora, die gute Fee des Waldes, sowie die Blumen-Elfen – Maßliebchen, Primel, Veilchen, Vergissmeinnicht, Heckenrose und Augentrost. Die Gegenspielerin ist Belladonna Atropa, die böse Fee des Waldes. Auf Seiten der „Guten“ sind die alte Großmutter, ihre Enkelin Bärbele und weitere Blumenelfen. Das „Schauspiel“ hat drei Aufzüge, gegliedert in mehreren Auftritten. Die Dramatik zum Schluss ist die: Belladonna trachtet der Großmutter nach dem Leben; so überredet sie die Enkelin, ihr nach einer körperlichen Schwäche die „Belladonna-Beere“ zum Essen zu geben. Rettend greift Frau Flora ein.

Aus dem letzten Akt: …

Mein Gott und Vater,

Hör‘ dies Gebet,

Das aus der Seele

Zum Himmel geht!

Send‘ deine Hilfe

In Not und Pein

Und schenk der Mutter

Des Lichtes Schein!

Bärbele beträufelt mit dem Safte der Belladonna einige Male die Augenlider ihrer Großmutter; Flora gibt mit dem Stabe den Segen dazu. Die Alte erwacht, richtet sich auf, streckt die Arme gegen Bärbele und ruft:

Großmutter:

Mein Kind, mein Bärbele, wie ist mir’s! Der dunkle Flor sinkt vor meinen Augen – ich seh‘ dich wieder! Gott sei gepriesen!

Bärbele:

Großmutter! Meine alte, gute, liebe Großmutter!

Währenddem erscheint Belladonna mit wütender Gebärde. Ein Blick von Flora trifft sie, und die böse Fee entflieht.

Flora: (auszugsweise) …

Preis’t alle Gott, dess‘ Hand das Zepter hält,

In seiner Güte, Weisheit, Macht und Größe!

Denn gleich dem Walde ist die ganze Welt,

Im Kampfe liegt das Gute und das Böse…

Des Bösen Waffe schleudert er zurücke

Und endet euren Kampf zum Heil und Glücke! …

D er Schlusschor ist der Lobpreis der Elfen: – Lobet den Herrn!- …

Unspielbar in der heutigen Zeit! Allenfalls als Persiflage!

In der damaligen „guten alten Zeit“ hochgelobt und gefeiert.

Das beweisen die hohen Auflagen und Verkaufszahlen -besonders der Einzelhefte.

Stil und Inhalt des zweiten Bändchens „Kleine Theaterstücke“ sind ähnlich. Sprachlich führt Isabella Braun ihre Linie fort.

Der Zombi. Schauspiel in zwei Aufzügen

Nach einer Erzählung der Eugénie Foa

Nach der neuesten Mode Lustspiel in einem Aufzuge

Das Hutzelmännchen Ein Weihnachtsspiel

Der Mutter Geburtstag Festspiel in zwei Aufzügen

Die Heimkehr Ein Festspiel zur Begrüßung nach einer

Badereise

Nach der neuesten Mode“ ist ein „Lehrstück“ aus königlich wittelsbacherischer, vielleicht auch wilhelminischer Zeit. Mit „brachialen“ Methoden versucht ein allein erziehender Vater seiner pubertierenden Tochter ihren Mode-Spleen auszutreiben. Er schafft es mit dem einprägenden Vergleich:

Einem „Affentheater“.

Spielbar wäre heute, nicht nur wegen des Titels, „Der Zombie“. Eine Erzählung der jüdischen Schriftstellerin Eugénie Foa (1796 – 1852) liefert den Grundstock für dieses Theaterstück. Zur Handlung:

Ort: Ein Kunstatelier in einer großen Stadt in Spanien zu einer Zeit, als die Sklaverei noch aktuell war. Ein berühmtes Malergenie namens „Morillo“ „hält“ sich in seiner Malschule zwei schwarze Sklaven als Farbenreiber und Bedienstete. Comes, einen alten „Neger“ und dessen Sohn Sebastian. Die drei „noblen“ Schüler des Meisters stellen jeden Morgen vor Beginn ihrer künstlerischen Arbeit fest, dass ein „genialer Geist“ auf den Rahmen ihrer Werke die geforderten Wünsche des Meisters erfüllte. Sie selbst wären maltechnisch und inspirativ nie dazu in der Lage gewesen. Also musste es ein mysteriöser südamerikanischer „Zombie“ in dunkler Nacht gewesen sein. Schließlich „outet“ sich Sebastian, der „Neger“ und „Affe“, wie ihn ein Schüler abfällig nannte, der Urheber gewesen zu sein. Mit Beginn der Morgendämmerung fertigte er die meisterhaften Skizzen. Meister Morillo erkennt das grenzenlose Talent des Sklaven, nimmt ihn in seine Meisterschule auf und entlässt ihn aus der Sklaverei!

Dieses Schauspiel Isabella Brauns „fällt aus dem Rahmen“ der übrigen Stücke.

Einen herrlichen Rahmen bilden auch die Texte und vor allem die Darstellungen in „Allerneuestes Theaterbilderbuch in beweglichen Bildern“. (1883, Schreiber Verlag Esslingen. 1983 neu aufgelegt.)

Es werden die vier Jahres-zeiten szenisch aus Kinder-sicht beschrieben. In allen Stücken sind es Kinder der gesellschaftlich höheren Schichten.

Der Frühling“ ist ein Lustspiel in 3 Szenen.

Ihm folgen „Die Land-partie“, Zur Äpfellese“ und „Weihnachten“ mit jeweils vier Szenen.

Dieses klappbare „Diorama“ hat drei Sicht-Ebenen. Die Wiege im Vordergrund ist beweglich.

Mit dem Kommen des Frühlings und der Rückkehr der Störche wünschen sich die vielen Kinder einer Familie nichts Sehnlicheres als ein Brüderchen oder ein Schwesterchen. Einige Ausschnitte aus dem Text von „Der Frühling“:

Gesang hinter der Scene.

Juhe, der Lenz ist da! tralralra!

Er hat ein wunderschönes Kleid

Und Perlentau als Festgeschmeid

Und seine Wangen färbt er hold

Mit Morgenrot und Abendgold.

Tralralra! …

Fritz (eilig hereinkommend):

Was Neues! horch, horch!

Es klappert der Storch.

Schaut nur hin,

Droben sitzt er auf Nachbar’s Kamin.

Ich weiß es genau,

Er ruft seiner Frau.

Franz:

Storch, Storch, bist wieder da! Gibt’s keine Frösch‘ mehr in Afrika?

Mathilde:

Störchlein, hast uns nicht mitgebracht,

Was uns Vergnügen macht?

Klärchen:

Ich wüsste schon, was ich gern hätt:

Ein kleinwinziges Kindchen für’s Wiegenbett.

Alle zusammen:

Storch, Storch, Langbein,

Bring‘ uns doch ein Brüderlein!

Wollen es schön pflegen,

In das Bettchen legen!

Oder bring‘ ein Schwesterlein,

Soll uns auch willkommen sein. … Zum Schluss:

Chor der Knaben und Mädchen

Heisa, juhe! dideldumdei!

Herr Frühling! wir Kinder sind auch dabei!

Wir grüßen dich fröhlich! Hinaus, hinaus,

Nun ist’s mit dem Stubensitzen aus. –

Vor der Jahrhundertwende wurden die Kindertheaterstücke unzählige Male in Kindergärten, Grundschulen und bei Kinderfesten aufgeführt. Heute undenkbar!

Sprache, Ethik und Moral Weltanschauung und die Zeiten haben sich geändert. Viele der Werke Isabella Brauns gerieten in Vergessenheit.

Was nicht vergessen werden soll ist das Andenken an das unerschöpfliche Werk dieser unvergleichlichen Frau.

Prediger (Buch Kohelet) 3,1:

Alles hat seine Stunde. Für jedes Geschehen unter dem Himmel gibt es eine bestimmte Zeit: …“

PS.: Sucht man heute bei Google nach „Isabella Braun“ hat man rund 599 000 Ergebnisse!

Dabei findet man über „unsere“ Isabella Braun, geb. 1815 in Jettingen erstaunlich viel.

ERICH RUESS

Quellen:

Die braune Bill“ , Renate Miehle, 1986 Gde. Jettingen-Scheppach

Kleine Theaterstücke für die Jugend“, Isabella Braun, 2. Bd. , 1914 Auer Donauwörth;

Ebenso: Bd 1. 1865 Hurter, Schaffhausen, 1877 Schreiber Esslingen

Bilder aus der Natur“, Isabella Braun, 1849 Kollmann, Augsburg

Allerneuestes Theaterbilderbuch“, Isabella Braun, 1883 und 1983, Schreiber Esslingen

Google-Books, Wikipedia

Bilder: Erich Rueß ermöglicht durch Renate Miehle; aus „Theaterbilderbuch“