Dr Sell hieß mit bürgerlichem Namen Artur Jall und ist 1921 in Kempten geboren und zusammen mit seinem zwei Jahre jüngeren Bruder Emil, der 1945 gefallen ist, aufgewachsen. Sein Vater, der Bahnbeamte Johann Hubert Jall, stammte aus Irsee. Für einige Jahre besuchte Artur das Gymnasium, später wurden die Weichen für seine berufliche Zukunft neu in Richtung einer landwirtschaftlichen Tätigkeit gestellt. Die erste Grundlage dafür war von 1937 bis 1939 eine landwirtschaftliche Lehre auf dem Bauernhof seines Vetters Karl in Heising nördlich von Kempten. Vermutlich war es auf dem Leutererhof in Schwarzenbühlers. Danach arbeitete er als Geselle auf verschiedenen größeren Höfen, so in Grub in Oberbayern und auf dem Mundenhof bei Freiburg.
Sein Lebensweg wird 1941 jedoch jäh durch den Militärdienst unterbrochen. Er wird bis 1945 in Russland im Kriegsdienst eingesetzt und kann mit großem Glück 1945 mit dem letzten aus Danzig ablegendem Schiff in die Heimat gelangen. Dort kommt er für ein Jahr in amerikanische Kriegsgefangenschaft in Fürstenfeldbruck, anschließend arbeitet er wieder auf dem Hof des Vetters in Heising. Schon im Spätherbst 1946 zieht er von dort nach Babenhausen und beginnt seine theoretische Ausbildung an der Landwirtschaftsschule. Er wohnt bei zwei betagten Schwestern zur Untermiete, soweit es seine Zeit erlaubt, arbeitet er nebenher im nahegelegenen Engishausen als Zuchtwart. Sein Ziel ist es nach drei Jahren Schulausbildung landwirtschaftlicher Berufsschullehrer zu werden, doch die Lebenswege gehen manchmal anders.
In Schwarzenbühlers hatte er eine junge Frau kennen gelernt, die im Nachbarhof als Hauswirtschafterin beschäftigt war. Sie war in den Wirren der letzten Kriegswochen allein Richtung Westen aufgebrochen, überlebte auf ihrem Weg die furchtbaren Dresdener Bombennächte und landete letztendlich im Allgäu. Nachdem sie schwanger geworden war, musste Artur seine Ausbildung abbrechen um den Unterhalt für seine Familie zu sichern. Glücklich fand er eine Anstellung im Landwirtschaftsamt, doch das Hauptproblem, das Finden einer Wohnung gestaltete sich äußerst schwierig. Wohnraum war extrem knapp, jede Dachkammer war von Vertriebenen belegt und der Wohnungsbau stagnierte. Im Landwirtschaftsamt fand er Kontakt zum Kreisjägermeister, der ihm eine kleine Jagdhütte im großen Waldgebiet Allmannshorn, westlich von Babenhausen gelegen, zur Miete anbot. Die Hütte lag sonnig am Waldrand, doch weit abgelegen vom Zentrum und hatte weder Wasser- noch Stromanschluss, doch sie bot eine eigene Wohnung für sich und seine entstehende Familie. Er konnte im Frühjahr 1948 heiraten, im Herbst kam der Sohn Hubert zur Welt, später zog auch noch seine Schwiegermutter ein, die zunächst mit dem Flüchtlingstreck ihrer Heimatgemeinde in der Oberlausitz gelandet war. Es war eng, doch man lebte zufrieden und ungestört mit Ziegen, Hund und viel Geflügel. Im September 1949 kam hier noch die Tochter Margret zur Welt. Die Enge wuchs, doch es fand sich lange keine geräumigere Wohnalternative.
Erst 1952 erfuhr Artur bei einem Außendiensteinsatz in Dietershofen bei Oberschönegg, dass das dortige Dorfgasthaus „Zum Kreuz“ einen neuen Pächter suchte. Da sich weiterer Nachwuchs ankündigte ergriffen Jalls kurz entschlossen die Gelegenheit und pachteten den Gasthof. Frau und Schwiegermutter führten die Wirtschaft tagsüber allein, zusätzlich ein kleines Lebensmittelgeschäft, Artur arbeitete weiterhin im Landwirtschaftsamt und unterhielt abends die Gäste. Unten waren der Gastraum, ein Nebenzimmer, die Küche und der Lebensmittelladen, oben ein Saal und die Schlafräume der Familie. Man feierte Familienfeste, Hochzeiten, eine Primiz, richtete den Leichenschmaus nach Beerdigungen aus und veranstaltete Faschingsbälle, Tanz- und Theaterabende, wobei Artur mit seiner Ziehharmonika zur Unterhaltung beitrug.
Es war eine erfüllende doch arbeitsreiche Zeit, doch konnte durch gemeinsame Arbeit und Sparsamkeit die wirtschaftliche Grundlage für eine bessere Zukunft geschaffen werden. Dies ermöglichte der Familie 1958, als Artur die Stelle des Geschäftsführers der neu gegründeten landwirtschaftlichen Trocknungsgenossenschaft angeboten wurde, in einen eigenen Neubau in der Babenhauser Mörikestraße umzuziehen.
Nach zwölf sicheren und glücklichen Jahren wird durch die Schließung des Werkes eine abermalige berufliche Neuorientierung notwendig. Er kann auch diese Hürde erfolgreich meistern und findet eine berufliche Zukunft bei der Jugendgerichtshilfe in Illertissen. Die dafür notwendige Verwaltungsausbildung absolviert er problemlos. 1983 geht er in Ruhestand und kann sich jetzt intensiv seinen künstlerischen Neigungen widmen, er malt, macht Holzarbeiten, singt in der Babenhauser Liedertafel und leitet die Babenhauser Volkshochschule. Viele Jahre ist er auch Schöffe am Memminger Amtsgericht.
1977 tritt er als Gründungsmitglied der Matzenhofer Schwabengilde bei und wird, als ehemaliger Wirt ideal geeignet, erster Kellermeister der Gilde und ist damit für die Bewirtungen aller Veranstaltungen zuständig. Er findet als Mundartdichter sein erfolgreichstes Betätigungsfeld.
Eine kleine Zusammenstellung von Artur Jalls Auftritten und Lesungen bei den Veranstaltungen der Matzenhofer Schwabengilde
Seine Veröffentlichungen
Nachdem er schon 1977 zu Heinrich Finkeles „Dr Buachfink vrzählt“ Beiträge beigesteuert hat, veröffentlicht er 1979 eine Schallplatte auf der er eigene Gedichte vorliest. Danach folgen zehn Bände mit Mundartgedichten, teils in mehrfachen Auflagen gedruckt, sowie ein „Allgäuer Wörterbüchle“, das mehr als 1600 Dialektwörter enthält. Er ist damit der wohl bekannteste, sicher aber der erfolgreichste Autor aller Poeten die die Matzenhofer Schwabengilde bisher hervorgebracht hat.
Farbenfrohe Umschläge schmücken die elf Bücher Artur Jalls. Die ersten sieben sind im Allgäuer Zeitungsverlag erschienen, die nächsten zwei beim Verlag Franz Brack in Altusried und die letzten zwei im Verlag Eppe in Bergatreute. Die meisten von ihnen sind gestaltet und mit Zeichnungen versehen von Eberhard Neef.
Dr „Sell“
Dr „Sell“ wird jetzt au neme kumma, Er hat ganz leise Abschied gnumma hat sei Plätzle im Jenseits gfunda Mir bleibat Ihm im Geist verbunda!
Jahrzehntelang trug uns dr „Sell“ an deara und an andra Stell – mit allgäu schwäbischem Humor selber greimte Versla vor!
Dr „Sell“ war oiner von de Beste. Unter seiner roten Weste – hat sei Herz, so ka ma sa, bis ans End, fiar d Hoimat gschla!
Illertissen, im Mai 2003 Anni Galler
Mit diesem Gedicht hat die Egerländerin Anni Galler, die nach der Vertreibung in Illertissen eine neue Heimat gefunden hat, von ihrem Freund und Dichterkollegen Artur Jall Abschied genommen.
Bibliografisches
Beiträge in: Finkele, Heinrich: Dr Buachfink vrzählt Heiteres und Absonderliches von Iller Roth und Günz o.V. [Selbstverlag] Tiefenbach o. J. [1977]
A bitzle so, a bitzle so
Artur Jall liest ebbes Oiges
Es spielen die Seeger Musikanten
MPA-Tonstudio Paul Röllig Wilpoldsried 1979
Singleschallplatte
Bei de Leut und von de Leut
Gereimtes und Ungereimtes in schwäbischer Mundart
Umschlaggestaltung und Illustrationen von Eberhard Neef
Allgäuer Zeitungsverlag Kempten 1980 95 S. illOPBd
2. Auflage 1983
A bitzle so … a bitzle so
Umschlaggestaltung und Illustrationen: Eberhard Neef
Allgäuer Zeitungsverlag Kempten 1982 111 S. illOPBd
Von Söttene und Söttige
Umschlaggestaltung und Illustrationen von Eberhard Neef
Allgäuer Zeitungsverlag Kempten 1983 95 S. illOPBd
Erlebt und erzählt
Bei de Leut und von de Leut
Umschlaggestaltung und Illustrationen von Heinz Schubert
Allgäuer Zeitungsverlag Kempten 1985 100 S. illOPBd
D´r Sell
Allgäuer Zeitungsverlag Kempten 1985 80 S.
Gell, dös hätt´sch au it denkt!
Umschlaggestaltung und Illustrationen von Eberhard Neef
Allgäuer Zeitungsverlag Kempten 1988 96 S. illOPBd
Ja, was isch denn dös
Brack Verlag GmbH Altusried 1990 96 S.
Allgäuer Wörterbüchle von A – Z
Brack Verlag GmbH Altusried 1997 144 S.
Enthält über 1600 Dialekt-Wörter
2.Auflage
3.Auflage 2008
4.Auflage 2013
5.Auflage 2017
Sag´s auf Schwäbisch
Brack Verlag Altusried 1994 96 S.
2. Auflage 2004
D´r Sell hoat gsait
Die Schwaben und ihre Sprüche
Eppe GmbH Bergatreute 2001 176 S.
Zu zweit – aber nicht unglücklich
Eppe GmbH Bergatreute 2002 172 S.
Für die Unterstützung bei der Erstellung dieser Seite bedanke ich mich ganz herzlich bei Artur Jalls Kindern für die biografischen Hinweise und die Familienfotos. Mein besonderer Dank gilt auch den ehemaligen Gildemeistern der Matzenhofer Schwabengilde, Erich Rueß und Peter Semmlin, die ebenfalls Informationen und Bildmaterial beigetragen haben.
Für Hinweise auf Verbesserungs- und Ergänzungsmöglichkeiten bin ich immer dankbar.