Artur Jall bei einer Veranstaltung der Matzenhofer Schwabengilde im Historischen Stadttheater in Weißenhorn am 28. September 1991

Dr Sell hieß mit bürgerlichem Namen Artur Jall und ist 1921 in Kempten geboren und zusammen mit seinem zwei Jahre jüngeren Bruder Emil, der 1945 gefallen ist, aufgewachsen. Sein Vater, der Bahnbeamte Johann Hubert Jall, stammte aus Irsee. Für einige Jahre besuchte Artur das Gymnasium, später wurden die Weichen für seine berufliche Zukunft neu in Richtung einer landwirtschaftlichen Tätigkeit gestellt. Die erste Grundlage dafür war von 1937 bis 1939 eine landwirtschaftliche Lehre auf dem Bauernhof seines Vetters Karl in Heising nördlich von Kempten. Vermutlich war es auf dem Leutererhof in Schwarzenbühlers. Danach arbeitete er als Geselle auf verschiedenen größeren Höfen, so in Grub in Oberbayern und auf dem Mundenhof bei Freiburg.

Sein Lebensweg wird 1941 jedoch jäh durch den Militärdienst unterbrochen. Er wird bis 1945 in Russland im Kriegsdienst eingesetzt und kann mit großem Glück 1945 mit dem letzten aus Danzig ablegendem Schiff in die Heimat gelangen. Dort kommt er für ein Jahr in amerikanische Kriegsgefangenschaft in Fürstenfeldbruck, anschließend arbeitet er wieder auf dem Hof des Vetters in Heising. Schon im Spätherbst 1946 zieht er von dort nach Babenhausen und beginnt seine theoretische Ausbildung an der Landwirtschaftsschule. Er wohnt bei zwei betagten Schwestern zur Untermiete, soweit es seine Zeit erlaubt, arbeitet er nebenher im nahegelegenen Engishausen als Zuchtwart. Sein Ziel ist es nach drei Jahren Schulausbildung landwirtschaftlicher Berufsschullehrer zu werden, doch die Lebenswege gehen manchmal anders.

 

In Schwarzenbühlers hatte er eine junge Frau kennen gelernt, die im Nachbarhof als Hauswirtschafterin beschäftigt war. Sie war in den Wirren der letzten Kriegswochen allein Richtung Westen aufgebrochen, überlebte auf ihrem Weg die furchtbaren Dresdener Bombennächte und landete letztendlich im Allgäu. Nachdem sie schwanger geworden war, musste Artur seine Ausbildung abbrechen um den Unterhalt für seine Familie zu sichern. Glücklich fand er eine Anstellung im Landwirtschaftsamt, doch das Hauptproblem, das Finden einer Wohnung gestaltete sich äußerst schwierig. Wohnraum war extrem knapp, jede Dachkammer war von Vertriebenen belegt und der Wohnungsbau stagnierte. Im Landwirtschaftsamt fand er Kontakt zum Kreisjägermeister, der ihm eine kleine Jagdhütte im großen Waldgebiet Allmannshorn, westlich von Babenhausen gelegen, zur Miete anbot. Die Hütte lag sonnig am Waldrand, doch weit abgelegen vom Zentrum und hatte weder Wasser- noch Stromanschluss, doch sie bot eine eigene Wohnung für sich und seine entstehende Familie. Er konnte im Frühjahr 1948 heiraten, im Herbst kam der Sohn Hubert zur Welt, später zog auch noch seine Schwiegermutter ein, die zunächst mit dem Flüchtlingstreck ihrer Heimatgemeinde in der Oberlausitz gelandet war. Es war eng, doch man lebte zufrieden und ungestört mit Ziegen, Hund und viel Geflügel. Im September 1949 kam hier noch die Tochter Margret zur Welt. Die Enge wuchs, doch es fand sich lange keine geräumigere Wohnalternative.

Das Waldhäusle, eine Jagdhütte im großen Waldgebiet Allmannshorn westlich von Babenhausen.

 

Erst 1952 erfuhr Artur bei einem Außendiensteinsatz in Dietershofen bei Oberschönegg, dass das dortige Dorfgasthaus „Zum Kreuz“ einen neuen Pächter suchte. Da sich weiterer Nachwuchs ankündigte ergriffen Jalls kurz entschlossen die Gelegenheit und pachteten den Gasthof. Frau und Schwiegermutter führten die Wirtschaft tagsüber allein, zusätzlich ein kleines Lebensmittelgeschäft, Artur arbeitete weiterhin im Landwirtschaftsamt und unterhielt abends die Gäste. Unten waren der Gastraum, ein Nebenzimmer, die Küche und der Lebensmittelladen, oben ein Saal und die Schlafräume der Familie. Man feierte Familienfeste, Hochzeiten, eine Primiz, richtete den Leichenschmaus nach Beerdigungen aus und veranstaltete Faschingsbälle, Tanz- und Theaterabende, wobei Artur mit seiner Ziehharmonika zur Unterhaltung beitrug.

 

 

 

 

Artur Jall um 1950 vor dem Waldhäusle mit Ehefrau , den Kindern Hubert und Margret und seiner Schwiegermutter

 

 

 

 

 

 

 

Dietershofen Ende der 1950er Jahre
Familie Jall um 1955 in Dietershofen bei Babenhausen

Es war eine erfüllende doch arbeitsreiche Zeit, doch konnte durch gemeinsame Arbeit und Sparsamkeit die wirtschaftliche Grundlage für eine bessere Zukunft geschaffen werden. Dies ermöglichte der Familie 1958, als Artur die Stelle des Geschäftsführers der neu gegründeten landwirtschaftlichen Trocknungsgenossenschaft angeboten wurde, in einen eigenen Neubau in der Babenhauser Mörikestraße umzuziehen.

Das Gasthaus "Zum Kreuz" in Dietershofen, das die Familie Jall von 1952 bis 1958 führte
Mit weit vorstehendem Allgäuer Dachvorsprung und umgebaut zu einem großzügigrn Wohnhaus, steht das "Kreuz" noch heute an der Dietershofer Dorfstraße
Das 1958 bezogene Haus in der Mörikestraße in Babenhausen mit dem von der Ehefrau geführten Lebensmittelladen
Familie Jall in den frühen 1960er Jahren im Garten in der Mörikestraße in Babenhausen
Goldene Hochzeit im April 1998

Nach zwölf sicheren und glücklichen Jahren wird durch die Schließung des Werkes eine abermalige berufliche Neuorientierung notwendig. Er kann auch diese Hürde erfolgreich meistern und findet eine berufliche Zukunft bei der Jugendgerichtshilfe in Illertissen. Die dafür notwendige Verwaltungsausbildung absolviert er problemlos. 1983 geht er in Ruhestand und kann sich jetzt intensiv seinen künstlerischen Neigungen widmen, er malt, macht Holzarbeiten, singt in der Babenhauser Liedertafel und leitet die Babenhauser Volkshochschule. Viele Jahre ist er auch Schöffe am Memminger Amtsgericht.

 

 

 

1977 tritt er als Gründungsmitglied der Matzenhofer Schwabengilde bei und wird, als ehemaliger Wirt ideal geeignet, erster Kellermeister der Gilde und ist damit für die Bewirtungen aller Veranstaltungen zuständig. Er findet als Mundartdichter sein erfolgreichstes Betätigungsfeld.

Die lesenden Autoren Erich Rueß, Peter Semmlin, Elisabeth Bee und Artur Jall

Eine kleine Zusammenstellung von Artur Jalls Auftritten und Lesungen bei den Veranstaltungen der Matzenhofer Schwabengilde

Seine Veröffentlichungen

Nachdem er schon 1977 zu Heinrich Finkeles „Dr Buachfink vrzählt“ Beiträge beigesteuert hat, veröffentlicht er 1979 eine Schallplatte auf der er eigene Gedichte vorliest. Danach folgen zehn Bände mit Mundartgedichten, teils in mehrfachen Auflagen gedruckt, sowie ein „Allgäuer Wörterbüchle“, das mehr als 1600 Dialektwörter enthält. Er ist damit der wohl bekannteste, sicher aber der erfolgreichste Autor aller Poeten die die Matzenhofer Schwabengilde bisher hervorgebracht hat.

Farbenfrohe Umschläge schmücken die elf Bücher Artur Jalls. Die ersten sieben sind im Allgäuer Zeitungsverlag erschienen, die nächsten zwei beim Verlag Franz Brack in Altusried und die letzten zwei im Verlag Eppe in Bergatreute. Die meisten von ihnen sind gestaltet und mit Zeichnungen versehen von Eberhard Neef.

Dr „Sell“

Dr „Sell“ wird jetzt au neme kumma,                                   Er hat ganz leise Abschied gnumma                                  hat sei Plätzle im Jenseits gfunda                                   Mir bleibat Ihm im Geist verbunda!

Jahrzehntelang trug uns dr „Sell“                                     an deara und an andra Stell  –                                            mit allgäu schwäbischem Humor                                 selber greimte Versla vor!

Dr „Sell“ war oiner von de Beste.                                 Unter seiner roten Weste –                                              hat sei Herz, so ka ma sa,                                                  bis ans End, fiar d Hoimat gschla!

Illertissen, im Mai 2003                           Anni Galler

 

Mit diesem Gedicht hat die Egerländerin Anni Galler, die nach der Vertreibung in Illertissen eine neue Heimat gefunden hat, von ihrem Freund und Dichterkollegen Artur Jall  Abschied genommen.

1977 veröffentlichte Schallplatte von Artur Jall mit der Lesung eigener Gedichte
Widmung von Artur Jall in einer Ausgabe von Dr Sell

Bibliografisches

Beiträge in:  Finkele, Heinrich: Dr Buachfink vrzählt                                                                         Heiteres und Absonderliches von Iller Roth und Günz                                                                      o.V. [Selbstverlag]     Tiefenbach     o. J. [1977]

A bitzle so, a bitzle so
     Artur Jall liest ebbes Oiges
     Es spielen die Seeger Musikanten
     MPA-Tonstudio Paul Röllig   Wilpoldsried     1979
     Singleschallplatte

Bei de Leut und von de Leut
     Gereimtes und Ungereimtes in schwäbischer Mundart
     Umschlaggestaltung und Illustrationen von Eberhard Neef
     Allgäuer Zeitungsverlag     Kempten     1980     95 S.     illOPBd

     2. Auflage 1983

A bitzle so … a bitzle so
     Umschlaggestaltung und Illustrationen: Eberhard Neef
     Allgäuer Zeitungsverlag     Kempten     1982     111 S.     illOPBd

Von Söttene und Söttige
      Umschlaggestaltung und Illustrationen von Eberhard Neef
     Allgäuer Zeitungsverlag     Kempten     1983     95 S.      illOPBd

Erlebt und erzählt
     Bei de Leut und von de Leut
     Umschlaggestaltung und Illustrationen von Heinz Schubert
     Allgäuer Zeitungsverlag     Kempten     1985     100 S.     illOPBd

D´r Sell
     Allgäuer Zeitungsverlag    Kempten     1985     80 S.

Gell, dös hätt´sch au it denkt!
     Umschlaggestaltung und Illustrationen von Eberhard Neef
     Allgäuer Zeitungsverlag    Kempten     1988     96 S.     illOPBd

Ja, was isch denn dös
     Brack Verlag GmbH     Altusried     1990     96 S.

Allgäuer Wörterbüchle von A – Z
     Brack Verlag GmbH     Altusried     1997     144 S.
Enthält über 1600 Dialekt-Wörter

     2.Auflage
     3.Auflage 2008
     4.Auflage 2013
     5.Auflage 2017

Sag´s auf Schwäbisch
     Brack Verlag     Altusried     1994     96 S.

     2. Auflage 2004

D´r Sell hoat gsait
     Die Schwaben und ihre Sprüche
     Eppe GmbH     Bergatreute     2001     176 S.

Zu zweit – aber nicht unglücklich
     Eppe GmbH     Bergatreute     2002     172 S.

Für die Unterstützung bei der Erstellung dieser Seite bedanke ich mich ganz herzlich bei  Artur Jalls Kindern für die biografischen Hinweise und die Familienfotos. Mein besonderer Dank gilt auch den ehemaligen Gildemeistern der Matzenhofer Schwabengilde, Erich Rueß und Peter Semmlin, die ebenfalls Informationen und Bildmaterial beigetragen haben.

Für Hinweise auf Verbesserungs- und Ergänzungsmöglichkeiten bin ich immer dankbar.