Sebastian Sailers Anagramme
Wer sich näher mit den Schriften Sebastian Sailers beschäftigt, stößt bald auf den eigenartigen altertümelnd klingenden Namen Benastasius Liares. Dieser schrieb 1755: „Vier Sendschreiben gegen P. Augustin Dornblüth“, einen Pater des Stifts Gengenbach im Schwarzwald. Dornblüth hatte ihn in seinem kurz zuvor erschienen Buch: „Observationes oder Gründliche Anmerkungen über die Art und Weise eine gute Ubersetzung besonders in die teutsche Sprach zu machen“ , wegen einer 1751 veröffentlichten Lobrede über den heiligen Vincentius scharf angegriffen.
Wir wissen nicht, warum Sailer unter Pseudonym auftrat. War es einfach barocke Lust am Fabulieren, wollte er seinem Gegner Minderschätzung signalisieren, dadurch dass er ihn nicht mit seinem echten Namen ansprach, oder hatte Sailer Angst mit seinem wahren Namen aufzutreten? Dieser Grund, der uns Heutigen zuerst in den Sinn kommt, nämlich Geheimhaltung seiner Identität, war es ganz sicher nicht.
Ein ehrliches Anliegen verlangte ein ehrliches Auftreten unter Offenlegung seines wahren Namens und dies erfüllte Sailer in seinen Ehrenreden selbstverständlich immer. Ein Anagramm seines Namens, d.h. ein Pseudonym erhalten durch einfache Umstellung aller Buchstaben des Namens, konnte deshalb niemals ein Versuch sein anonym zu bleiben, das Anagramm war selbstredend und für jeden Gegner erkennbar. Sailer selbst erklärt dies in der Vorrede zum dritten Band der „Geistlichen Reden“ so: „Denn mein Name scheuet das Licht nicht, oder ist in einem Anagrammatismus deutlich zu lesen; das heißt Ehrlich gehandelt“.
Die Pseudonymenlexika kennen nicht nur Benastasius Liares, daneben noch Benostasius Biares und Sebastian Relies. Leider führen sie keine verfassten Werke auf, denn die Suche danach ist heute nicht sehr ergiebig. Lediglich in einem Nachtrag zum 8. Band von Meusels Lexikon gibt der Verfasser für „Liares“ neben den Sendschreiben gegen Augustin Dornblüth noch eine „oratorische Bibliothek“ als Werk an. Das Werk war leider bislang nicht nachweisbar.
Sebastian Relies wird als Verfasser angegeben auf dem zweiten bekannten Druck der „Schöpfung“, erschienen 1784 ohne Verlags- und Ortsangabe.
Zu Benostasius Biares ließen sich bislang keine Veröffentlichungen nachweisen, eventuell ist es auch nur ein Übertragungsfehler der Lexikaschreiber, entstanden durch die Ähnlichkeit des lateinischen „L“ mit dem deutschen „B“.
Die Sailer´sche Lust am anagrammatischen Pseudonym zeigt sich noch in einer anderen Veröffentlichung, die zumindest seit der Veröffentlichung ihres Titelblatts bei Locher (1965) bei Sailerforschern gut bekannt ist, die Rede zur Abdankung von Zar Peter dem III, veröffentlicht 1762. Die deutsche Ausgabe erschien 1763 bei Sailers Hausverleger Rieger in Augsburg, die Erstauflage mit dem fingierten Druckort Smolensk in Litthauen wohl auch. Schwieriger ist dabei die Erklärung des Pseudonyms. Czsar Jelim Ivanowitz nennt sich der Verfasser, umgestellt, bzw. übertragen ergibt sich: J. Sailer C.z.M. Sohn des Johann. Sailers Geburts- und Vatername waren Johann, Capitular zu Marchtal war er seit 17??
Einen Hinweis auf eine weitere Pseudonymveröffentlichung gibt Georg Christoph Hamberger 1772 in der verbesserten zweiten Auflage seines Schriftstellerlexikons „Das Gelehrte Teutschland“. Danach erschien 1764 bei Rieger in Augsburg eine „Feyerliche Dankrede eines hebräischen Großrabbiners zur Krönung von Kaiser Franz“. Der Verfasser nennt sich Ben-Issatai Israel und das ist, so unglaublich es auf den ersten Blick erscheint, ein Anagramm von Sebastian Sailer.Auch thematisch passt diese Rede gut zu den anderen Ehrenreden Sailers der 1760er Jahre.
Ein weiterer glücklicher Hinweis auf ein Sailerpseudonym fand sich in der handschriftlichen Rücken-beschriftung eines Sailer´schen Predigtbandes meiner Sammlung mit der Aufschrift „Realis“. Dieser enthält zwar die „Marianischen Lobreden“ seines Bruders Franz Anton, doch der wird sehr oft mit seinem Bruder Sebastian gleichgesetzt.
Eindeutig ein Anagramm von Sailer, doch was ergibt die Literatursuche zu diesem anagrammatischen Namen? Tatsächlich fand sich eine Veröffentlichung ohne Druckort und ohne Verlagsangabe aus dem Jahr 1765, die in der Form eine Dissertation vortäuschen will. Als Verfasser abgegeben ist ein ansonsten völlig unbekannter Augusto Realis à Realisio.
Die Erklärung des Vornamens Augustus erklärt sich aus der Bedeutung des Namens Sebastian. Sebastian heißt Mann aus Sebaste, einer Stadt im griechischen Kleinasien, die ihren Namen vom altgriechischen sebastos, d.h. ehrwürdig, erhaben herleitet. Der Name der Stadt zur Ehre des Erhabenen, lateinisch „des Augustus“, womit der Bogen zu unserem Sebastian Sailer geschlagen wäre.
In den Jahren 1762 bis 1765 erschien also jährlich eine Veröffentlichung Sailers unter anagrammatischem Pseudonym. Ob die Serie damit beendet war? Ich konnte zumindest keine weiteren anonym erschienene Werke Sailers finden, vielleicht haben andere mehr Erfolg?