Vorderer Umschlag der ersten Buchveröffentlichung Eberhardts
Titelblatt

Mitte der 1930er Jahre beginnt eine Blütezeit der Mundart in Bayerisch-Schwaben, dadurch dass zwei der beliebtesten und bekanntesten Autoren Schwabens ans Licht der Öffentlichkeit treten, Arthur Maximilian Miller und ein Bauer aus dem Kesseltal. Dieser beginnt seine Veröffentlichungsreihe 1936 ganz im Norden des Regierungsbezirkes. Es ist der am 28. Juni 1913 in einer niedrigen, strohgedeckten Bauernsölde in Zoltingen im Kesseltal geborene Michel Eberhardt. Der kleine Fluss Kessel durchfließt einen, zwischen Ries und Donautal eingezwängten Höhenzug, der sich vom westlich gelegenen Härtsfeld, mit dem herrschaftlichen Höhenkloster Neresheim, über den Markt Bissingen, zu dem Zoltingen heute gehört, hinüberreicht bis ins Wörnitz- und Donautal. Östlich von Donauwörth zieht sich dieses karge, sommertrockene und eiswindig winterkalte Land weiter über die Monheimer Alb, hin nach Eichstätt. Diese unerschlossene Gegend bot im Mittelalter ideale Siedlungsräume für die Einsamkeit suchenden Kartäuser und Zisterzienser. Im Westen gründeten sie das heute noch als Ruine beeindruckende Kartäuserkloster Christgarten, im Osten die später sehr wohlhabende Zisterzienserabtei Kaisheim.

Beide, Miller und Eberhardt eröffnen den Reigen ihrer Mundartbücher mit einem schmalen Bändchen, dem sie ein einseitiges Vorwort beigeben. Damit sind die Übereinstimmungen zwischen ihnen aber auch schon aufgezählt, denn so unterschiedlich sind diese Zwei.

Miller, der schon seit acht Jahren eine gesicherte Lehrerstelle innehatte und auch durch andere Buchveröffentlichungen bekannt war, tritt geleitet an der Hand von Joseph Bernhart, einem der führenden katholischen Autoren Schwabens ins Rampenlicht, sein vierlagiges, fadengeheftetes Bändchen, eine Erscheinung des Verlags Bayerisches Schulmuseum in Augsburg, ist fast schon ein richtiges Buch.

Ganz im Gegensatz zu Miller tritt Eberhardt, der Jungbauer, der auf dem Kleinsöldneranwesen seines Vaters mitarbeitet, allein vor den Vorhang und präsentiert sich dem überraschten Publikum mit einer eigenen Einleitung. Sein hochdeutscher Text wirkt etwas hingekünstelt und unsicher, doch führt er dieses einlagige, nur durch zwei Metallklammern zusammengehaltene, verlagslose Heft sicher zu seinen Lesern, obwohl es nur der schöne orangerote Kartonumschlag mit der schönen Titelaufschrift ″Bei os d’rhoemt″ von einem gewöhnlichen Schulheft unterscheidet.

Vorderer Umschlag und Titelblatt des zweiten Buches Michel Eberhardts

Schon zwei Jahre später kommt eine zweite, auf 76 Gedichte vermehrte Auflage heraus. Er überlässt sie dem Verlag Georg Wagner in Nördlingen zur Veröffentlichung unter dem Titel Baurafeierte. Das Buch ist erfolgreich, doch die Zeit wird schlecht. Im gleichen Jahr zieht sich der stets kränkliche und überlastete Miller aus Immenstadt in den kleinen Weiler Kornau bei Oberstdorf zurück, um dort mehr Ruhe zu finden. Eberhardt, der der letzten Bauerngeneration angehört, die alle Bauernarbeit mit ihren Händen erledigen muss, arbeitet weiter in der kleinen Landwirtschaft der Eltern, leistet körperliche Schwerstarbeit bei geringem und unsicherem Lohn und beklagt sich nicht. Doch es kommt noch viel schlimmer, 1939 muss er in den Krieg ziehen, er durchlebt drei Fronten, das Inferno bei der Schlacht um den Monte Cassino dringt tief und bleibend in ihn ein. Eine schwere Verletzung bedingt einen langen Lazarettaufenthalt, doch er bleibt am Leben.

             Bild aus der Ferne

Mei Dorf, du wearscht em Obadfrieda lega,
Vielleicht ganz golde steigt dr Vollmo auf.
Ond feuchte Oga guggat meinatwega
Vielleicht voll Sorg zum Obadsteara nauf.

Durch Früahlesgärte werd a Rauscha ganga,
A später Vogel sengt sei Obadliad.
Der Fliederbusch weard voler Dolda hanga.
’s weard sei wia allweil, wann der Früahle blüaht.

Viel hondert Stemma lebat auf em Düschtra;
En Haus ond Garta got a Sehnsucht om.
Viel hondert Stemma höar i weither flüschtra,
Allweil des oine Wöartle, allweil: Komm!

            (Frankreich in Kriegsgefangenschaft 1948)

 

 

 

 

 

 

 

 

Das Gedicht der Erinnerung und Sehnsucht an die Heimat Zoltingen entstand noch kurz vor der Heimkehr 1948 in der französischen Kriegsgefangenschaft. Veröffentlicht hat er es 1953 in Einsamer Ackergang.

Diese Zeit nutzt er für literarische Arbeiten, es entsteht ein bis 2006 ungedruckter Roman in Hochsprache – Das andere Ufer.

Am Ende des Krieges kommt er in französische Gefangenschaft, aus der er erst 1948 wieder heimkehrt. Nahtlos nimmt er sein früheres Leben wieder auf. Er erbt den kleinen Hof, heiratet eine Bauerntochter aus dem Nachbardorf Leiheim, mit der er die väterliche Landwirtschaft fortführt. Er ist jetzt wieder auf der glücklichen Seite des Lebens, drei Kinder werden geboren, das erarbeitete Geld reicht um 1962 einen etwas größeren Hof in Zoltingen zu kaufen und auch an sein literarisches Dasein knüpft er erfolgreich an.

1953 erscheint, wieder bei Georg Wagner in Nördlingen, sein drittes Buch Einsamer Ackergang. Umschlag und Kapitelanfänge lässt er durch kleine Zeichnung von Magdalene Arnsperger aus Oettingen schmücken. Es ist inhaltlich und optisch ein schönes, in sich geschlossenes, harmonisches Buch, das heute leider wenig beachtet wird.

Erste Nachkriegsveröffentlichung 1953, Umschlag mit Illustration und Titelblatt

Sein erstes Kapitel  Tiefere Stunde enthält 26 Gedichte in Standardsprache, darunter eines seiner bekanntesten – Sein im Wechsel

         Sein im Wechsel

Mit unsern Jahren spielt der Wind;
Wir waren einmal und wir sind,
Wir blühen auf und wir vergehn
und münden ein zum Auferstehn.

Wir sind der Acker und die Saat,
Wir sind die Schnitter und die Mahd,
In unserm Wesen kreist die Zeit,
Von Ewigkeit zu Ewigkeit.

      Aus   Einsamer Ackergang   S. 11/12

 

 

 

Im zweiten Kapitel Bauernchronik finden sich 39 Mundartgedichte, darunter erstmals das auch im nächsten Buch wieder aufgenommene Gedicht Johanni  (siehe Abbildung weiter unten).

Eberhardt zeichnet darin am Beispiel von Rosen und Mohn, von beschütztem Garten und freiem Feld, bildhaft das Prinzip der Relativität des Daseins nach.

Eberhardts Sonderstellung als Mundartdichter wird jetzt mehr und mehr geachtet, besonders als er anfängt für den Rundfunk zu arbeiten. Allein beim Württembergischen Rundfunk in Stuttgart gehen vom 2. Januar 1952 bis zum 22. Oktober 1972 200 Sendungen, deren Texte er selbst geschrieben hat hinaus ins Land. Er beginnt mit Die 12 heiligen Nächte und endet mit Wia schnell gont oim sei Täg drvo!

Weitere Sendungen gestaltet er beim Bayerischen Rundfunk in München. Die Themen sind vielfältig, er schreibt volkskundliche Betrachtungen über Land und Leute, Dorfgeschichten, Kleidung, Trachten, Essen, Liebe und Ehe und vieles mehr, dazu Hörspiele und Mundartszenen.

In der dörflichen Gesellschaft übernimmt er wichtige Aufgabe, er wird Gemeinderat, stellvertretender Bürgermeister, Feldgeschworener und Kirchenvorstand. Als Mitglied einer seit Jahrhunderten am südlichen Riesrand ansässigen protestantischen Familie, fühlt er sich ganz dem Ries mit seiner Hauptstadt Nördlingen zugetan, das zugehörige katholische Verwaltungszentrum Dillingen im Donautal bleibt ihm immer fremd.

Umschlag, Titelblatt und zwei Gedichte aus Eberhardts reifster Veröffentlichung "Der alte Brunnen"

1959 kommt Eberhardts viertes Buch heraus, Der alte Brunnen, das heute als sein vollkommenstes Werk gilt. Viele der darin veröffentlichten Gedichte gehören heute zu den Klassikern der Rieser Literatur und erhalten die hohe Anerkennung seiner Gedichte in der nordschwäbischen Bevölkerung bis heute unangefochten am Leben.

Schnoka-Karle, das Pseudonym Eberhardts für diese humoristische Veröffentlichung
"Mensch und Erde", das letzte erschienene Buch zu Lebzeiten Michel Eberhardts
Signatur von Michel Eberhardt aus einem Exemplar von "Der alte Brunnen"

Im selben Jahr veröffentlicht der Wagner Verlag unter dem Titel Ds Raritäta-Käschtle vom Schnoka-Karle auch noch allerhand Lustiges aus dem Ries. Hinter dem Pseudonym steht auch Michel Eberhardt, dessen Veröffentlichungsliste damit fast abgeschlossen ist. Erst viele Jahre später, 1963, folgt noch als letzter Band Mensch und Erde, Geschichten und Verse aus dem Bauernleben.

Diese erfolgreiche und glückliche Zeit als Bauer und Schriftsteller, als körperlicher Schwerstarbeiter und geistig Schaffender dauert über 20 Jahre, bricht jedoch völlig unverhergesehen 1972 abrupt ab. Der Suizid seiner Frau trifft ihn mit solch zerstörerischer Gewalt und wirft ihn aus seiner Lebensbahn. Es folgt ein tiefer Absturz, Trauer, Verlust seiner Schaffenskraft verbinden sich mit der zerstörerischen Kraft des Alkohols. Die meiste Zeit der folgenden Jahre verbringt er in ärztlicher Behandlung im Bezirkskrankenhaus Reisensburg, doch er schafft auch diesmal, eine von keinem möglich gehaltene Wende. Im Hochsommer 1976 kehrt er nach Hause zurück, voller Hoffnung und mit neu gewonnener schöpferischer Kraft.

Doch die schweren Jahre seines Lebens, Krieg, Gefangenschaft, körperliche Schwerstarbeit in der Landwirtschaft und die Jahre seiner Verzweiflung und Dunkelheit haben ihm viele Lebensjahre geraubt. So ist er schon kurz nach seinem Neuanfang am 28. Oktober 1976 völlig unerwartet, aus ärztlicher Sicht jedoch nicht überraschend, gestorben.

Die erste nach seinem Tod erschienene Sammelveröffentlichung

Die anhaltende Bekanntheit hat auch nach seinem Tod bewirkt, dass seine Werke weiter gedruckt wurden. Es entstanden mehrere Sammelbände, so 1980 Adam ond Eva em Paradies mit einer Einführung von Martin Blümcke und zu seinem hundertsten Geburtstag 2013, herausgegeben von seinem Sohn Reinhart, ein Lesebuch mit Geschichten, Gedichte und Hörspielen. Zudem hat der einzige große Nördlinger Verlag, der sich auch mit Mundartliteratur befasst, Fritz Steinmeier, durch Neuausgaben der frühen Veröffentlichungen Michel Eberhardts für die Zugänglichkeit seiner Werke gesorgt. 2006 veröffentlichte der Verlag auch noch den bislang ungedruckten Roman Das andere Ufer. Für die Übernahme dieser verlegerischen Aufgabe sind alle Freunde der Rieser Mundart dem Verlag zu Dank verpflichtet.

Umschlag des zum 100. Geburtstag Eberhardts erschienenen Lesebuches mit Lyrik, Prosa und Hörspielen und einigen Familienfotos
Der "Dichter aus dem Kesseltal" war auch Thema bei den Rieser Kulturtagen
Dem "Lesebuch" beigegebenes Lesezeichen des Steinmeier Verlages
Hinterer Umschlag des "Lesebuches"

Anlässlich seines 100. Geburtstages wurde auf Initiative der Verlegerfamilie Steinmeier, die dem Werk Michel Eberhardts immer eng verbunden war, auf dem Nördlinger Friedhof bei  St. Emmeran eine große Kalksteinstele zur Erinnerung an den Dichter aufgestellt.

Leider ist die Inschrift sehr der Witterung ausgesetzt und deshalb mitunter schlecht lesbar.

Das Phänomen  Michel Eberhardt  ist ohne Kenntnis des Rieses, seiner geografischen und sozialen Struktur, seiner Landschaft und seiner Bevölkerung kaum verständlich. Michel war einer von ihnen, er genoss Ansehen, ja Verehrung und doch war er, geprägt von seinem literarisch beseelten Vater, fern von ihnen. Und nur so, und sie tun es noch heute, konnten sie ihn in ihrem Herzen tragen. 

Die Zeit geht über viel hinweg – Michel Eberhardt wird bleiben.